Die Zeltstadt beim Berufschulzentrum in Backnang wurde im Sommer 2022 errichtet. Nun wird sie genutzt, weil im Landkreis Plätze in regulären Unterkünften fehlen. Foto: Gottfried /Stoppel

Ein Jahr lang standen die beheizbaren Zelte in Backnang leer. Nun nimmt der Landkreis die erste Notunterkunft für Asylbewerber in Betrieb. Am Donnerstag zogen die ersten Geflüchteten ein: rund 140 Menschen aus mehreren Nationen.

Der Zeitpunkt vor dem einsetzenden Winter ist denkbar schlecht. Doch der Landkreis habe keine Alternative, als die Notunterkunft neben dem Backnanger Berufschulzentrum nun doch zu belegen, sagt Peter Zaar, der Erste Landesbeamte: „Der Migrationsdruck ist einfach zunehmend stark, sodass wir leider gezwungen sind, die Zeltstadt hier in Betrieb zu nehmen.“ Das habe bislang vermieden werden können, doch die Zuweisungen vom Land seien derart gestiegen, dass die Plätze in den regulären Unterkünften nicht ausreichten, um alle Geflüchteten aufzunehmen. „Die Zahlen sind geradezu explodiert.“

Musste der Landkreis im April noch 55 Asylbewerber aufnehmen, waren es im September bereits 253 und im Oktober 266 Personen. „Wir bekommen die Zahlen Anfang des Monats vom Regierungspräsidium genannt, haben nur einen kurzen Vorlauf und keinen Einfluss darauf.“ Nicht vergessen dürfe man dabei die Geflüchteten aus der Ukraine, die rechtlich nicht als Asylbewerber gewertet werden. „Da kommt noch mal eine dreistellige Zahl mit drauf, die vom Rems-Murr-Kreis und den Kommunen bewältigt werden muss.“

Nutzungskonflikte vermeiden

Zaar sei froh, dass die Anlage mit drei 60 Meter langen Wohnzelten zur Verfügung stehe: „Wir sind gut vorbereitet, wir haben die Zelte rechtzeitig aufgebaut, weil es uns ein Anliegen ist, nicht wie bei der Krise 2015, Turnhallen nutzen zu müssen.“ Dadurch ließen sich Konkurrenzsituationen und Nutzungskonflikte mit Schulen und Sportvereinen vermeiden.

Die drei 60 Meter langen Wohnzelte am Heininger Weg bestehen in der Regel aus Wohneineinheiten mit vier Betten. Für größere Familienverbünde gibt es vier Einheiten mit jeweils acht Betten. Jedes Zimmer hat einen Kühlschrank, Tisch, Stühle und abschließbare Spinde, Licht, Steckdosen und WLAN. Zusätzlich gibt es sechs weitere Zelte – zwei als Gemeinschaftsbereiche, zwei zum Kochen mit Tischen, Backöfen, Herden und Spülbecken sowie zwei, die mit Waschbecken, Toiletten und Duschen ausgestattet sind. Nach Bedarf gebe es auch Lernräume, Räume für Ehrenamt und Quarantäne. „Die Bewohner müssen sich selbst versorgen, einkaufen und kochen“, erklärt Zaar.

Neun Nationen unter zwei Zeltdächern

Nur zwei der Wohnzelte sollen zunächst genutzt werden. „Angemeldet sind für heute 141 Geflüchtete, die aus sieben verschiedenen Landeserstaufnahmeeinrichtungen kommen“, erklärt Zaar am Donnerstag. In dem einen Zelt würden 75 Personen untergebracht, die in Familienverbünden sind, im anderen Zelt seien 66 Singles vorgesehen. Theoretisch sei in den drei Wohnzelten Platz für insgesamt 436 Personen. Praktisch seien es stets weniger, da beispielsweise in ein Vierbettzimmer bei einer Familie mit drei Personen kein Fremder dazugelegt werde. Die Belegungsquote liege bei 75 bis 80 Prozent des Maximums.

Der Löwenanteil der Geflüchteten komme mit 55 Personen aus der Türkei, 26 stammten aus Afghanistan, 25 aus Syrien, gefolgt von Guinea (8), Sri Lanka (8), Nordmazedonien (7), Bosnien und Herzegowina (4) sowie zwei aus palästinensischen Gebieten. Bei sechs Personen sei die Herkunft ungeklärt, so Zaar.

Sicherheitsdienst rund um die Uhr

Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr, soll es einen Sicherheitsdienst mit zwei Mitarbeitern in der Einrichtung geben. Betreut werden die neuen Bewohner tagsüber von einem Sozialdienst, den sich Diakonie und Caritas teilen. „Wir sind von montags bis freitags da, in der Regel mit ein, zwei Personen“, sagt Fachbereichsleiterin Annika Wahl. Am Ankunftstag stand ausnahmsweise ein Team von zehn Sozialarbeitern bereit, um möglichst alle Sprachen abzudecken. „Wir sind erster Ansprechpartner für die Geflüchteten“, erklärt Wahl. Geholfen werde vor allem bei Anträgen, Behördengängen, der Anmeldung in der Kita, in der Schule und ähnlichem. „Wir und die Caritas könnten noch weitere Sozialarbeiter für die Flüchtlingsarbeit brauchen“, sagt Judith Schulz, Fachbereichsleiterin für Migration beim Kreisdiakonieverband.

Die Zelte sollen keine Dauerlösung sein

Zaar betont, dass die Zeltstadt in Backnang nur als Notunterkunft und nicht als Dauerlösung gedacht sein soll: „Wir bauen parallel unter Hochdruck weitere reguläre Gemeinschaftsunterkünfte auf.“ Bis Januar sollten 400 weitere Plätze in regulären Unterkünften hinzukommen. „Es ist schwer, die Entwicklung der kommenden Monate zu prognostizieren, aber unsere Zielsetzung ist, dass wir zeitnah die Zelte wieder leer bekommen.“ Dazu müssten allerdings auch die Weichen in Berlin und Brüssel entsprechend gestellt werden, konkrete Vorschläge wolle er nicht machen: „Ich habe das Gespür, dass in den letzten Tagen schon ein Umdenken stattgefunden hat.“