Gefährlicher als Nord- und Ostsee sind Binnengewässer wie Seen und Flüsse. Foto: Sophia Kembowski/dpa

Bis zum vergangenen Sommer ertranken zwar viele Menschen bei Badeunfällen in Deutschland, aber es waren deutlich weniger als ein Jahr zuvor. Doch dann stiegen die Zahlen - dafür gibt es einen Grund.

Hannover - Ein warmer Spätsommer, unbewachte Flüsse und viele unsichere Schwimmer - eine gefährliche Mischung: In Deutschland sind 2023 mindestens 378 Menschen ertrunken und damit deutlich mehr als ein Jahr zuvor. 2022 wurden noch 355 tödliche Badeunfälle gezählt.

Zwar seien bis zum Ende der Sommerferien weniger Menschen als im Vorjahreszeitraum ertrunken, aber danach sei es zu ungewöhnlich vielen Unglücksfällen gekommen, sagte die Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), Ute Vogt. Im vergangenen August starben 47 Menschen im Wasser, während es im August 2022 noch 74 waren. Im sommerlichen September ertranken dann 43 Menschen - 18 mehr als im September 2022.

"Der Spätsommer zog nochmals zahlreiche Badegäste an die Gewässer, was auch zu einem starken Anstieg der Badeunfälle führte", sagte Vogt. Auch von Oktober bis Dezember starben mehr Menschen im Wasser: "In den letzten drei Monaten des Jahres verunglückten so viele Personen wie seit 2017 nicht." Allein im Dezember starben 25 Menschen - laut DLRG dreimal so viele wie zum Jahresende 2022.

Unbewachte Binnengewässer besonders gefährlich

Die meisten Menschen ertranken im vergangenen Jahr in Bayern, wie Verbandskommunikations-Vize Achim Wiese sagte: Dort wurden im vergangenen Jahr 62 Badetote gezählt, ein Jahr zuvor waren es 70. In Bremen sank die Zahl der Todesfälle von 5 auf 2, in Niedersachsen von 42 auf 33, in Hamburg dagegen verdoppelte sie sich etwa von 10 auf 21. In Baden-Württemberg ertranken 43 Menschen, 14 mehr als 2022. Unter Ertrinken versteht man nach DLRG-Angaben das Eintauchen in oder unter Wasser, wobei es zum lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel kommt. Das kann bei Bewusstsein oder in Bewusstlosigkeit passieren, etwa nach einem Sturz oder einem Kopfsprung auf ein Hindernis unter der Wasseroberfläche.

Besonders gefährlich waren die in der Regel unbewachten Binnengewässer: 90 Prozent der Todesfälle hätten sich dort ereignet, wo dann im Ernstfall keine Rettungsschwimmer eingreifen könnten, erklärte Vogt. In Seen gab es 138 und damit 9 Todesfälle weniger als 2022. In Flüssen und Kanälen dagegen starben deutlich mehr Menschen: So zählte die DLRG im vergangenen Jahr 135 Badetote in Flüssen - nach 105 ein Jahr zuvor. In Kanälen ertranken 27 Menschen, ein Jahr zuvor waren es 19. Die DLRG-Präsidentin rief dazu auf, solche Gewässer zu meiden.

Auch nicht ganz ungefährlich: Wassersport. 20 Menschen ertranken etwa beim Stand-up-Paddling oder Bootfahren. "Wassersportler sollten nicht nur im, sondern auch auf dem Wasser ihre eigene Sicherheit im Blick behalten", mahnte Vogt. Ein plötzlicher Sturz ins kalte Wasser könne für einen aufgeheizten Körper lebensgefährlich sein: "Selbst geübte Schwimmer sollten daher immer eine Schwimmweste tragen." Sportgeräte böten nur vermeintlich Sicherheit.

Auch in der Nord- und Ostsee starben im vergangenen Jahr mehr Menschen als 2022 - ihre Zahl stieg von 18 auf 27. Dabei ging es aber nicht nur um Badeunfälle, allein fünf Todesfälle hingen mit einer Frachter-Kollision zusammen: Am 24. Oktober 2023 stießen die Frachter "Verity" und "Polesie" südwestlich von Helgoland zusammen. Die "Verity" sank. Die Behörden gehen davon aus, dass fünf Seeleute bei dem Unglück ums Leben kamen. Der Kapitän wurde tot geborgen, vier Seeleute wurden noch vermisst. Zwei Seeleute konnten gerettet werden.

Lebensretter an Nord- und Ostsee

Zwar hätten von Anfang Mai bis Ende September jährlich rund 5500 DLRG-Rettungsschwimmer an über 100 Badestellen entlang der Küste gewacht - aber tödliche Unfälle ereigneten sich vor allem abseits bewachter Strände, sagte Vogt. Ohne die Lebensretter hätte es aus ihrer Sicht aber mehr Unglücksfälle gegeben: "An Nord- und Ostsee retteten sie diesen Sommer rund 80 Menschen das Leben."

Unter den Verunglückten waren im Vergleich zum Vorjahr mehr junge Menschen im Alter von 31 bis 40 Jahren. 44 Todesfälle listet die Statistik in der Altersgruppe auf, nach 26 im Jahr zuvor. "Nicht nur Kinder und Jugendliche überschätzen ihre eigene Leistung und agieren unvorsichtig", betonte Vogt.

Auch Männer scheinen stärker gefährdet - von den 44 Opfern waren demnach 93 Prozent männlich, insgesamt waren 292 Badetote Männer. Die Zahl der ertrunkenen Frauen stieg von 62 auf 77. Weniger Todesfälle gab es dagegen bei Kindern im Alter bis zehn Jahren: Die Lebensretter registrierten 16 Todesfälle in der Altersklasse - nach 20 ein Jahr zuvor.

In den 2000er Jahren kam es jährlich noch zu durchschnittlich 45 tödlichen Badeunfällen der Kleinen, wie Vogt sagte. "Das Bewusstsein der Menschen für die Gefährdung von Kindern im Wasser hat sich eindeutig verbessert."

Aber: Mehr als jedes zweite Kind könne nach der Grundschule nicht sicher schwimmen - und bei vielen dürfte das so bleiben, mahnte sie: "Wir müssen sicherstellen, dass das Schwimmenlernen genauso zur Grundausbildung gehört wie das Lesen, Schreiben und Rechnen." Die gute Nachricht sei, dass mehr Jugendliche schwimmen lernen wollten - dafür aber seien mehr Wasserflächen und Bäder notwendig.