Koji Yakusho als Hirayama in „Perfect Days“ Foto: © 2023 MASTER MIND Ltd.

Raus aus der hektischen Welt! Wim Wenders Drama „Perfect Days“ ist ein wunderschöner Film um ein einfaches, ruhiges, glückliches Dasein.

Wim Wenders dreht seit mehr als 50 Jahren Filme, wobei Dokumentationen („Das Salz der Erde“) ebenso zu seinem Oeuvre gehören wie Kurz- und Spielfilme („Every Thing Will Be Fine“). Der Künstler wird hierzulande geschätzt, kann aber von jeher auch auf internationale Fangemeinden verweisen. Ein besonderes Verhältnis verbindet Wenders mit Japan, wo Produktionen wie „Tokio-Ga“ (1985) oder teilweise auch „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ (1989) entstanden. Gerade in Zeiten der Pandemie wurde der Wahlberliner nach eigenem Bekunden von einem heftigen „Heimweh“ nach Nippon geplagt. Eine Reise lag aber aufgrund der besonders rigiden Coronavorschriften nicht im Bereich des Möglichen. Aber dann kommt alles anders.

Wenders arbeitete gerade an seiner Dokumentation über den Künstler Anselm Kiefer, als ihn ein etwas anrüchiger Brief erreichte. Er beinhaltete eine Einladung nach Tokio, um sich architektonisch anspruchsvolle, öffentliche Toiletten anzuschauen. Eventuell möchte er ja einen Film über die Häuschen und ihre Architekten drehen? Wenders ließ sich nicht lange bitten, er begab sich vor Ort und suchte nach Inspiration. Eine Doku kam aber nicht infrage. Aber wenn man die stillen Örtchen in die Handlung eines Spielfilms einbinden könnte, wäre das eine Überlegung wert. Der 78-Jährige versicherte sich der Mitarbeit des umtriebigen Allroundtalents Takuma Takasaki beim Verfassen des Drehbuchs, er engagierte den wunderbaren Schauspieler Koji Yakusho – und drehte einen der schönsten Filme dieses Kinojahres.

Schönheit überall

Hirayama (Koji Yakusho) gehört schon einem älteren Semester an. Er führt ein bescheidenes Leben in einer kleinen Wohnung und bestreitet seinen Lebensunterhalt als Kloputzer in der japanischen Hauptstadt. Und als solcher ist er sehr glücklich. Hirayama reinigt die Sanitärmöbel mit Leidenschaft, wenn er am Werk war, kann man beruhigt Platz nehmen. Wenn der stille Mann nicht wienert, dann beobachtet er seine Umwelt ganz genau und trifft allerorten auf Schönheit, Berührendes und Kurioses. Der streng geregelte Tagesablauf des Protagonisten gerät etwas aus den Fugen, als er seinem jugendlichen Kollege behilflich ist, der um die Gunst eines Mädchens buhlt. Außerdem zieht Hirayamas Nichte vorübergehend bei ihm ein, die zu Hause ausgerissen ist. Durch sie kommt es zu einer Begegnung mit der eigenen Vergangenheit, auf die er gern verzichtet hätte.

Der Film wird all jenen aus der Seele sprechen, die sich nach einem einfacheren, ruhigeren Dasein sehnen. Und das sind in diesen Tagen wohl ziemlich viele. Was sich anlässt wie eine asiatische „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Variante, führt im weiteren Verlauf die allgegenwärtigen „Work-Life-Balance“-Diskussionen ad absurdum.

Hirayama liebt seinen Job, dem in Japan nichts despektierliches anhaftet. Er definiert sich durch seine Arbeit, die viele nicht wahrnehmen, eben weil er sie perfekt gemacht hat. Merke: Man kann in jeder Beschäftigung Erfüllung finden, und man kann auch in der Freizeit unglücklich sein. Ob einem eine gewisse Alltagsroutine vielleicht auch guttut, merkt man wahrscheinlich erst dann, wenn sie plötzlich wegbricht. Dass der Held der Geschichte trotz allem auch offen für Veränderungen ist, zeigt sein schüchternes Interesse an der Betreiberin der Bar, in der er gelegentlich einkehrt.

Jenseits der Konsumgesellschaft

Der famose, charismatische Koji Yakusho, der auf dem Festival von Cannes als „Bester Hauptdarsteller“ geehrt wurde, schafft eine unvergessliche Figur. Hirayama öffnet dem Zuschauer die Augen für die kleinen Dinge, die den Alltag lebenswert machen. Mit großer Zärtlichkeit kümmert er sich um die Setzlinge, die er aus dem Park mit nach Hause gebracht hat. Er genießt Musik am liebsten von der analogen Kassette und teilt seinen Geschmack mit dem Regisseur des Filmes: Velvet Underground und Lou Reed, Patti Smith, Otis Redding. Hirayama schläft stets bei einem guten Buch ein. Nachts lässt er im Traum die Erlebnisse des Tages Revue passieren. Die entsprechenden Sequenzen wurden übrigens von Wenders Frau Donata realisiert. Ansonsten stand wieder Franz Lustig hinter der Kamera, der Wenders seit 20 Jahren begleitet. Er setzt die bekannten Seiten Tokios wie den ikonischen Fernsehturm Skytree, die Bäume inmitten der Großstadt, aber auch viele Orte stimmungsvoll in Szene, die dem Touristen zumeist verborgen bleiben. Natürlich gehören auch die architektonisch wertvollen Bedürfnisanstalten zu den wichtigen Darstellern.

„Perfect Days“ ist ein ruhiger, in anmutigen Bildern erzählter Film, der auch ein Publikum ins Herz treffen wird, das um das Arthaus-Kino für gewöhnlich einen weiten Bogen schlägt. Der neue Wenders präsentiert sich erstaunlich leicht zugänglich und hinterlässt ein lebensbejahendes Gefühl. Die alltäglichen Hoffnungen und Probleme der Menschen sind offenbar überall auf der Welt ähnlich. Und es existieren noch Welten jenseits der Konsumgesellschaft, die darauf warten, entdeckt zu werden. Gut möglich, dass das Werk für Japan ins Oscar-Rennen gehen wird.

Perfect Days. Japan 2023. Regie: Wim Wenders. Mit Koji Yakusho, Arisa Nakano, Tokio Emoto. 123 Minuten. Start: 21.12.