Guter Sex ist auch ohne Gefühle zu haben. Das stimmt doch, oder etwa nicht? Der Film „Tagebuch einer Pariser Affäre“ findet eine eigene Antwort.
Hoppla, das geht aber fix. Kaum hat man es sich im Kinosessel bequem gemacht, sagt auf der Leinwand Charlotte zu Simon, dass sie mit ihm schlafen möchte. Da läuft der Film „Tagebuch einer Pariser Affäre“ schätzungsweise gerade mal zwei Minuten und auch die beiden Hauptdarsteller kennen sich kaum länger. Sandrine Kiberlain als forsche, alleinerziehende Mutter hält sich nicht mit Vorreden auf und der Regisseur Emmanuel Mouret ist ganz bei seiner Figur. Diesem vorgegebenen Tempo kommt Vincent Macaigne als verheirateter Familienvater und Objekt der Begierde nicht so ganz nach.
Der sympathische, etwas linkisch wirkende Mann ist stets ein wenig langsamer: so stolpert er seiner Geliebten Charlotte auf den Gehwegen der schönsten Pariser Viertel ebenso hinterher wie ihrem Begehren, ihren Wünschen und auch ihren Gefühlen, die entgegen aller Absprachen eben doch mit der Zeit entstehen.
Im gleichen Rhythmus
Der Film verzeichnet die Treffen des Paares wie ein Tagebuch mit Datum und Dauer: zu Beginn der Affäre sind die Abstände lang, dann werden sie kleiner, dann wieder größer, gegen Ende vergehen sogar Jahre. In der Mitte des Films, in dem die beiden zusammen für ein paar Tage verreisen, haben sie viel Zeit füreinander und finden dann auch in dasselbe Tempo, denselben Rhythmus, den gleichen Herzschlag: beim Fahrradfahren, beim Reden, bei der Liebe. Sie merken beide, wie gut sie sich verstehen, doch Simon verpasst den Zeitpunkt, sich von seiner Familie zu trennen und verliert Charlotte an die bezaubernde Louise (Georgia Scalliet).
Hochromantische Bilder
„Tagebuch einer Pariser Affäre“ steht in der Tradition der großen Liebesfilmklassiker des französischen Films und hat durchaus das Potenzial selbst einer zu werden und das liegt nicht nur an dem beeindruckenden Spiel der drei Hauptdarsteller. Der Regisseur Emmanuel Mouret, selbst Schauspieler, hat sich dem Liebesfilm verschrieben. Sein neuestes Werk ist sicher einer seiner kunstvollsten aus dieser Gattung.
Mouret entwirft zwar wehmütig hochromantische Bilder der alten, unverletzten Hauptstadt der Liebe, eines Paris vor den Anschlägen, aber dennoch sind seine Figuren ganz in der Gegenwart angesiedelt und die Beziehungen untereinander hochkomplex. Die Ehefrau, der Ex-Mann, die insgesamt fünf Kinder der beiden sind zwar existent, tauchen aber nur in Gesprächen auf oder durch Gegenstände, die an sie erinnern. Das rückt die Liebenden ganz in den Mittelpunkt des Geschehens und lässt ihre Affäre umso gewichtiger und ernsthafter erscheinen.
Doch der oft etwas unglücklich agierende Simon lässt Charlotte ziehen so wie einst David Rosalie in Claude Sautets Film „César und Rosalie“. Romy Schneiders Worte über ihren feinen, aber tatschwachen Liebhaber treffen auch auf Simon zu: „Der mich liebt, ohne mich zu wollen, der mich mitnimmt, aber mich nicht holt“. Mit dem Unterschied dass in „Tagebuch einer Pariser Affäre“ aus dem selbstgewissen César die zupackende Louise geworden ist.
Tagebuch einer Pariser Affäre. Frankreich 2022. Regie: Emmanuel Mouret. Mit Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne und Georgia Scalliet. Ohne Altersbeschränkung. Start: 23. März