Fotos aus dem Alltag oder aus der Zukunft? „Lola“ kreuzt gekonnt die Zeiten. Foto: /Neue Visionen

Zwei Schwestern als Schutzengel aus der Zukunft: Andrew Legges Science-Fiction-Film „Lola“ über den Zweiten Weltkrieg im England einer Parallelrealität ist formal mutig, anrührend und hochaktuell.

Die Mondlandung, die Beatles, David Bowie und dessen „Major Tom“ – es gibt so vieles, worauf es sich in der Zukunft zu freuen lohnt, erfahren die Schwestern Thomasina (Emma Appleton) und Martha Hanbury (Stefanie Martini) mit Hilfe ihrer selbstgebauten Ton-Bild-Zeitmaschine „Lola“.

Doch in der Realität des Jahres 1940 in England brauen sich düstere Wolken zusammen, Deutschland hat Polen überfallen und kämpft in einer Luftschlacht um das Vereinigte Königreich. Bisher hatten Thomasina und Martha Lola benutzt, um Musik, Werbespots und Wettberichte aus der Zukunft zu empfangen. Letzteres auch, um sich etwas zu verdienen; nach dem frühen Tod der Eltern leben die jungen Frauen allein und fast mittellos im verfallenden Landsitz der Familie.

Historisches und historisch Anmutendes fügt sich zu einer falschen Dokumentation zusammen

Als die Deutschen England angreifen, warnen die Schwestern als anonyme Schutzengel die Bevölkerung vor kommenden Bombardements, fliegen bald aber auf und werden von Lieutenant Sebastian Holloway (Rory Fleck Byrne) gezwungen, als geheime Beraterinnen der Royal Air Force zu arbeiten.

Andrew Legges Spielfilm-Debüt „Lola“ ist ein kleiner Geniestreich. Im Rahmen einer Science-Fiction-Parallelwelt-Erzählung kreuzt Legge historisches mit historisch anmutendem Material, dass er zu einer falschen Dokumentation, einer sogenannten Mockumentary über „Lola“ und die Zeit des Luftkriegs zusammensetzt. Innerhalb der Handlung dokumentieren die Schwestern ihre Erfindung mit einer Kamera, deshalb arbeitet Legge mit Schwarz-Weiß-Film in historischem Format, das er künstlich altern lässt. Die Aufnahmen der Schwestern kombiniert er mit teils manipulierten Ausschnitten aus authentischen Wochenschauen, die Hitler und Churchill zeigen, aber auch mit TV-Bildern der Mondlandung und Pop-Musikvideos der „British Invasion“ der Sechziger. Das Publikum wird zu Komplizen der Schwestern, die den Verlauf des Luftkrieges im Sinne Englands beeinflussen sollen.

Zur Thematik der Zeitmaschine und Parallelwelten-Erzählung gehört aber auch, dass die Veränderung der Geschichte erhebliche Nebenwirkungen zeitigt. Und so beschreibt Legge, wie durch Oswald Mosley, den tatsächlichen Gründer der British Union of Fascists, Winston Churchill gestürzt und Großbritannien zu einem faschistischen Staat umgebaut wird. Statt David Bowie mischt nun der rechtsradikale Liedermacher Reginald Watson (Shaun Boylan) die Teenager auf.

Hochaktueller Geniestreich

Legges Erzählung ist traurig und anrührend, zugleich thematisiert der Film hochaktuelle Themen wie die Glaubwürdigkeit medialer Darstellungen und die Frage danach, ob und wie man sich heute der Vergangenheit annähern kann, um daraus zu lernen. So intelligent und formal anspruchsvoll wie hier wurde das bisher selten erzählt.

Lola. Irland/ GB 2022. Regie: Andrew Legge. Mit Emma Appleton, Rory Fleck Byrne, Stefanie Martini. 79 Minuten. Ab 12 Jahren. Start: 28.12.