Takumi (Hitoshi Omika) und seine Tochter Hana (Ryo Nishikawa) leben nahe Tokio im Dorf Mizubiki ein Leben im Einklang mit der Natur. Foto: dpa

Ryusuke Hamaguchi hat zuletzt das Oscar-prämierte Werk „Drive my Car“ ins Kino gebracht. „Evil does not exist“ wirkt unscheinbarer, entfaltet aber ungeahnte Sprengkraft.

Höflichkeit und Zurückhaltung gelten als typisch japanische Tugenden. Diese legen auch die Figuren in Ryusuke Hamaguchis bedrohlich stillem Ökothriller „Evil Does not Exist“ an den Tag. Schon der Titel lässt sich als stoisch pazifistische Beschwörungsformel deuten, Menschen bloß nichts Übles zu unterstellen. Dabei hat eine Event-Agentur schlimme Pläne für ein alpin gelegenes Dorf in der Peripherie Tokios, das Hamaguchi in den ersten Minuten seines Films schwelgerisch anhand einer beeindruckend komponierten Geräuschkulisse als Naturparadies in Szene setzt. Um sich am Erholungsbedürfnis gestresster Großstädter zu bereichern, entwickelt die Firma ein sogenanntes Glamping-Konzept für ein Waldareal nahe dem Dorf, das den Glamour und Luxus gehobener Touristik mit der Ursprünglichkeit des Campings verbindet. Dem naturverbundenen Witwer Takumi (Hitoshi Omika) und den anderen Dorfbewohnern gehen die Pläne gegen den Strich, als bei der Projektvorstellung herauskommt, dass die Glamping-Anlage die örtliche Wasserversorgung verseuchen wird. Trotzdem kommt es nicht zur offen aggressiven Konfrontation zwischen Firmenbotschaftern und der Dorfgemeinschaft. Die beiden Repräsentanten der Firma erkennen in Takumi die Schlüsselfigur, um die anderen für das Glamping zu gewinnen. Zwischen den dreien entsteht fast eine Art Freundschaft, bis Takumis Tochter Hana (Ryu Nishikawa) verschwindet.

Ryusuke Hamaguchi verwendet den größten Teil seiner Erzählzeit, um die Menschen zu beschreiben, die hier aufeinandertreffen. Dabei konfrontiert er durchaus plakativ zwei Welten: die von Geld, Stress und beruflicher Abhängigkeit korrumpierten Firmenbotschafter, die sich allerdings von Takumi von der ursprünglichen Lebensweise auf dem Land überzeugen lassen, und die Dorfgemeinschaft mit dem alleinerziehenden Takumi als zentralem Ruhepol, der nach der Devise „von der Hand in den Mund“ lebt, ohne sich allzu viel aus den Annehmlichkeiten der Großstadt zu machen. Hamaguchi, der zuletzt mit dem Drama „Drive my Car“ 2022 unter anderem den Oscar für den besten ausländischen Film erhielt, erzählt fast nervenzerfetzend gelassen von einer drohenden, menschengemachten Katastrophe. Dass der fragile Frieden jederzeit kippen könnte, lässt den scheinbar gemächlich dahinplätschernden Film mit seinen teils alltäglichen, teils idealisiert überhöhten Aufnahmen vom Leben in der Natur subtil bedrohlich erscheinen. Wenn Takumi den beiden Großstädtern das Holzhacken erklärt, ersehnt man fast, er möge den Konflikt mit der Axt beenden. Doch so leicht macht es sich Hamaguchi nicht, auch wenn sich die Gewalt dann doch noch ihren Weg in die Geschichte bahnt – und die unvorhersehbare Schlusspointe schlägt ein wie eine Bombe.

Evil Does not Exist. Japan 2023. Regie: Ryusuke Hamaguchi. Mit Hitoshi Omika, Ryu Nishikawa. 106 Minuten. Ab 12 Jahren.