Im Taxi prallen die unterschiedlichen Lebensvorstellungen aufeinander – und nicht nur die von Marianne (Iris Berben) und vom brummigen Fahrer Joseph (Joachim Król). Foto: epd/Filmwelt

Die Komödie „791 km“ spielt in einem Taxi, also auf engstem Raum – und da ist alles drin, was die deutsche Gesellschaft aktuell vor Zerreißproben stellt.

Ein Sturm fegt über Deutschland hinweg und bringt den Bahnverkehr zum Stillstand. Am Münchner Hauptbahnhof herrscht reges Treiben. Eigentlich wollte Joseph (Joachim Król) hier nur kurz haltmachen, um ein wenig Proviant zu kaufen. Als er zurückkommt, ist sein Taxi voll besetzt, und die Fahrgäste wedeln mit Gutscheinen in dreistelliger Höhe.

Mit Hippie-Herz

Fünf Personen schließt Regisseur Tobi Baumann in seinem Film „791 km“ auf engstem Raum ein und schickt sie auf die nächtliche Reise von München nach Hamburg. Mit im Gepäck haben die Figuren ihre unterschiedlichen Lebenserfahrungen, politischen Meinungen, persönlichen Konflikte und individuellen Probleme. Die pensionierte Linguistik-Professorin Marianne (Iris Berben) hat sich ihr großes Hippie-Herz bewahrt und hält mit ihren grün-alternativen Vorstellungen nicht hinter dem Berg. Die gestresste Start-up-Unternehmerin Tiana (Nilam Farooq) hat sich in der Schlange am Infoschalter von ihrem Freund Philipp (Ben Münchow) getrennt. Der überentspannte Physiotherapeut in Teilzeitbeschäftigung zeigt zu wenig Initiative bei der Krisenbewältigung. Zwischen den beiden auf der Rückbank sitzt Susi (Lena Urzendowsky), die an einer geistigen Beeinträchtigung leidet. Und schließlich ist da hinter dem Steuer noch Joseph, der früher einmal einen Spielzeugladen am Stachus hatte und sich seit dem Konkurs als Taxifahrer durchschlägt.

Es dauert keine fünf Minuten, und schon prasseln die unterschiedlichen Lebensvorstellungen aufeinander: Bei Reizthemen wie Spritpreise, Klimawandel oder Cancel-Culture provoziert Joseph durch politisch unkorrekte Äußerungen, die bei genauen Hinhören aber eine nachdenkliche Tiefe aufweisen. Und exakt darum geht es in diesem Film: um das genaue Hinhören, Wahrnehmen und Verstehen anderer Menschen, ohne deren Positionen teilen zu müssen.

Auf den ersten Blick füllen Baumann („Faking Hitler“) und sein Drehbuchautor Gernot Gricksch („Das Leben ist nichts für Feiglinge“) den Innenraum des Autos mit einem Konsortium aus Stereotypen, um diese dann nacheinander zu komplexeren Charakteren auszubauen. Schließlich versteht sich der Film als Statement gegen die gesellschaftliche Polarisierung, in der Positionen und Lebensläufe nur noch nebeneinander stehen, ohne miteinander zu kommunizieren. „Raus aus der Blase. Rein ins Taxi.“: So könnte das Motto des Filmes lauten, der seine unterschiedlichen Charaktere sukzessive zu einer fahrgemeinschaftlichen Ersatzfamilie zusammenschweißt.

Glimmendes Charisma

Dabei schießt „791 km“ auf der Überholspur zum kollektiven Happy End sicherlich über sein Ziel hinaus. Auch bei dramatischen Zuspitzungen sind die Fingerabdrücke der Plotkonstrukteure deutlich sichtbar. Dennoch füllt sich die Angelegenheit dank des gut aufeinander eingestimmten Ensembles mit Leben. So gewinnt die Figur der Susi, deren kindliche Direktheit allzu offensichtlich als gruppendynamischer Katalysator fungiert, durch die warmherzige Performance von Lena Urzendowsky („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) eine unerwartete Tiefe. Und der wunderbare Joachim Król, der im fortgeschrittenen Alter ein ganz eigenes, sanft glimmendes Charisma entwickelt hat, dimmt so manche plakative Übersteuerung im Skript mit versiertem Understatement souverän herunter.

791 km. Deutschland 2023. Regie: Tobi Baumann. Mit Iris Berben, Joachim Król, Nilam Farooq. 103 Minuten . Ab 12, Start: 14.12.