Teil der Ausstellung sind historische Fahrzeuge, die Hans Jörg Schnitzer unter anderem in den USA erworben hat. Foto: Simon Granville

Technik und Design: Hans-Jörg Schnitzer lässt in seinem Unternehmen längst vergangene Zeiten aufleben.

Es war eine Zeit, in der vieles möglich und neu – und in der viel Tempo drin war. Es war die Wirtschaftswunderzeit. Bunt und vielfältig. So war die Realität, so ist heute das Kolb-Lollipop-Museum im Ortsteil Korntal. Mitten drin: Hans-Jörg Schnitzer, Initiator und Eigentümer des Museums. Der Unternehmer führt durch das Museum, er erzählt Anekdoten zu den Ausstellungsstücken und vermittelt eine unbändige Freude an den Dingen. Es ist kein verklärter Blick in die Vergangenheit, mitnichten. Der Unternehmer ist im Hier und Jetzt präsent. Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur – der Museumschef zeigt sich offen für die Themen dieser Zeit.

Und doch vermittelt Hans-Jörg Schnitzer zugleich die Freude an einer Zeit, die seine Zeit war, mit der er groß wurde, die so vielfältig und voller Energie war. Was wäre, wenn man die Dinge dieser Zeit nicht aufbewahren würde, nicht präsentieren würde: Sie gerieten in Vergessenheit, würden aus dem Bewusstsein verschwinden. So wie die Dose für Salzstangen. die mechanische Schreibmaschine, die Telexgeräte – und natürlich die Oldtimer. Schnitzer hat sie aus den USA importiert.

In mehr als 40 Jahren hat Schnitzer Exponate zusammengetragen, unter anderem Kreidler-Kleinmotorräder. Sie waren später die Grundlage für das Museum – oder waren sie doch viel mehr eine Reminiszenz an die eigene Jugend, in der eine Kreidler ein unerfüllter Wunsch blieb? Schnitzer schmunzelt darüber, er stellt es nicht in Abrede. Ebenso wenig wie er sein Bedauern darüber unterdrückt, dass er den VW Käfer mit dem Brezelfenster, sein liebstes Exponat, aus finanziellen Gründen verkaufen musste. Zu sehen ist indes der Originalkolben der Kreidler-Weltrekordmaschine, die es 1965 mit einem 50-ccm-Motor auf stolze 210 Stundenkilometer schaffte.

Schnitzer ist Unternehmer mit der Einsicht in Notwendigkeiten. Er hadert nicht, aber die Freude an den schönen Dingen längst vergangener Zeiten, an Design, Material, Ingenieurs- und Handwerkskunst ist beständig. Ob das eben jener VW Käfer ist oder aber die weinroten Sessel aus dem Kino in der Leonberger Grabenstraße. Als das Kino geschlossen wurde, erwarb Schnitzer die Sessel. Jetzt zieren sie seinen kleinen Kinosaal in Korntal, wo der Besucher einen Überblick über Schnitzers Sammlung bekommt.

Ebenfalls etwas Besonderes ist ein spezieller Friseursessel, bei dem sich das Sitzpolster wenden lässt. „Niemand musste auf einem vom Vorgänger aufgewärmten Sitz Platz nehmen“, nennt Schnitzer den Grund. Eine Bar im Westernstil mit Musikautomaten und Filmplakaten haben in seinem Museum ebenso Platz wie mehrere Annette-Himstedt-Puppen mit Echthaar.

Vor Corona sei das Museum stärker frequentiert gewesen als heute, sagt Schnitzer. Vor der Pandemie war auch das Fernsehen mehrfach in die Welt des Lollipop-Museums eingetaucht. Jetzt ist es ruhiger geworden. Das Kleinod liegt im Gewerbegebiet an der Markungsgrenze zu Stuttgart-Weilimdorf – zu erreichen entweder mit der S 6/S 60 bis Korntal nebst einem 15 Minuten dauerenden Fußmarsch oder mit Bus der Linie 90 zur Lilienthalstraße. Der Eingang des Museums liegt an der Bushaltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Ein besonderer Blickfang in der umgenutzten Fabrikhalle sind die schweren US-Straßenkreuzer von Cadillac und Lincoln, für die der Schnitzer ein besonderes Faible hat. Es sind Zeugen einer Zeit, als Spritpreise noch keine Rolle spielten. Längst vergangen, deshalb nicht minder faszinierend.

Seit mehr als zehn Jahren bietet der Seniorchef der „Friedrich Kolb GmbH und Apparatebau“ im Kolb-Lollipop-Museum interessierten Gästen einen detailreichen Einblick in die Firmen- und die Industriegeschichte. Es sei in dieser Zeit immer aufwärts gegangen, sagt Schnitzer.

Es ist, als wolle der gebürtige Zuffenhäuser die positive Grundstimmung heute weitertragen, die sein Unternehmerdasein prägte: 1932 hatte der Ingenieur Friedrich Kolb in Stuttgart Bad-Cannstatt sein Unternehmen gegründet, zwei Jahre später gelang ihm der geschäftliche Durchbruch, als er den Auftrag erhielt, für das legendäre Flugzeug „Tante Ju“, die Junkers Ju 52, von Heinrich Hugo Junkers in Dessau ein in dieser Form noch nicht existierendes Schmiersystem zu entwickeln und zu liefern. Es war die Basis für die Produktion des Betriebes in Stuttgart-Zuffenhausen. Friedrich Kolb und sein Schwiegersohn Georg Schnitzer nahmen später die Serienproduktion von Hydraulikteilen ins Lieferprogramm des Unternehmens auf – ehe Hans-Jörg Schnitzer das Unternehmen neu ausrichtete. Der Enkel des Firmengründers baute dann das nach eigenen Angaben erste Hydraulik-Reparaturwerk in Deutschland auf – mit der späteren Altteilaufarbeitung für Verschleißteile aller Industriebereiche.

Unterwegs in der Region

Serie
Urlaub daheim ist alles andere als langweilig. Die Region Stuttgart bietet vielfältige Möglichkeiten für abwechslungsreiche Tage ohne weite Anreise – für Kulturinteressierte wie für Naturfreunde, für Sportbegeisterte wie für Genießer. In unserer Serie „Der Ferientipp“ stellen wir Ausflugsziele vor. Wetten, dass für Sie etwas dabei ist?

Anfahrt
Von der A 81 Ausfahrt Stuttgart-Zuffenhausen fährt man über die B 10, Nordsee- und Zuffenhauser Straße, Solitude-Allee, Südstraße, Korntaler Landstraße, Lotterberg- und Motorstraße zur Lilienthalstaße 11. Von der Ausfahrt Stuttgart-Feuerbach führt der Weg über die Ditzinger, Flachter und Litterbergstraße über die Motor- zur Lilienthalstraße. Öffnungszeiten nach telefonischer Vereinbarung: 07 11/ 83 25 07, 07 11/ 5 05 01 83 sowie 07 11/ 75 88 27 56

Essen und Getränke
muss man selbst organisieren.