Die EU-Schuldenregeln sollen reformiert werden. In Zukunft soll den Mitgliedstaaten mehr finanzieller Spielraum gelassen werden. Foto: dpa/Zhang Cheng

Die Eckpunkte der Maastricht-Kriterien bleiben bestehen, doch die Unterhändler verständigen sich in Brüssel darauf, die Vorgaben flexibler zu gestalten, um Investitionen zu erleichtern.

Am Ende sind alle EU-Staaten irgendwie zufrieden. Unterhändler des Europaparlaments und der Regierungen der Mitgliedstaaten haben sich nach monatelangen Verhandlungen in der Nacht auf Samstag auf eine Reform der Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden geeinigt. „Die neuen Regeln werden helfen, ausgeglichene und nachhaltige öffentliche Finanzen und Strukturreformen zu erreichen und werden Investitionen, Wachstum und die Schaffung von Jobs in der EU fördern“, frohlockte die belgische EU-Ratspräsidentschaft im Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) nach der 16-Stunden-Marathonsitzung.

Die Schuldenregeln werden flexibel

Zentrales Element der geplanten Reform ist, dass die Schuldenregeln nicht mehr völlig starr angewendet werden. In Zukunft soll die individuelle Situation der Länder stärker berücksichtigt werden. Ziel ist es, weiter Investitionen zu ermöglichen und zugleich eine zu hohe Verschuldung einzelner Mitgliedstaaten zu vermeiden. Zudem sind wirksamere Sicherheitslinien für den Abbau von Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung als bisher vorgesehen. Die EU-Finanzminister hatten sich bereits Ende des Jahres auf die Eckpunkte der Reform geeinigt - danach waren allerdings noch Verhandlungen mit dem Europaparlament notwendig.

Die sogenannten Maastricht-Kriterien sollen trotz der Reform unverändert bleiben. Die jährliche Neuverschuldung eines Staates darf danach drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht überschreiten. Die Gesamtverschuldung eines Landes darf zudem bei höchstens 60 Prozent liegen. Die Länder sollen die Vorgaben aber flexibler auslegen können. Insbesondere hoch verschuldete EU-Staaten wie Frankreich und Italien bestanden darauf. So sollen Staaten mehr Zeit bekommen, bei sehr hohen Defiziten ihre Haushalte anzupassen, wenn sie zugleich Reformen und Investitionen vornehmen.

Mindestvorgaben für den Abbau von Schulden

Deutschland setzte aber Mindestvorgaben etwa für einen Abbau von Defiziten und Schulden durch. Bei diesen Schutzvorkehrungen zur sogenannten Defizitresilienz geht es darum, eine Sicherheitsmarge zu schaffen, die unter dem im Vertrag festgelegten Defizit-Referenzwert von drei Prozent liegt. Staaten sollen demnach die drei Prozent nicht ausreizen, um in Krisen größere Puffer zu haben. Vorgesehen bleibt weiter, dass Staaten bei einem Verstoß gegen die Drei-Prozent-Defizitgrenze eine jährliche strukturelle Verbesserung von mindestens 0,5 Prozent des BIP erreichen sollen.

Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine waren die alten Regeln vorübergehend bis 2024 ausgesetzt worden. Eine Rückkehr zu den alten Regeln war als Gefahr für die wirtschaftliche Erholung Europas gesehen. Zudem wurde das Regelwerk auch schon vor der Pandemie oft missachtet - auch von Deutschland.

Berlin ist zufrieden mit den Regeln

Schon nach der Einigung im Dezember äußerte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner zufrieden. „Die neuen Fiskalregeln für die EU-Mitgliedsstaaten sind realistischer und wirksamer zugleich“, schrieb er damals auf dem Kurznachrichtenkanal X. „Sie verbinden klare Zahlen für niedrigere Defizite und sinkende Schuldenquoten mit Anreizen für Investitionen und Strukturreformen.“ Lindner sieht die von ihm vertretene „Stabilitätspolitik“ gestärkt.

Zufrieden äußerte sich am Samstag Joachim Schuster, wirtschaftspolitischer Sprecher der Europa-SPD. „Im Vergleich zum alten Regelwerk ist die neue Verpflichtung zum Schuldenabbau stark reduziert“, erklärte der Sozialdemokrat. „Die Abbauziele werden für hoch verschuldete Staaten zwar eine Belastung darstellen, aber sind realistischer und bieten etwas mehr Handlungsspielräume.“

Viel Lob und wenige Kritik

Gelobt wird die Reform auch aus der konservativen EVP-Fraktion. „Mit der Einigung kehren wir zu einer verantwortungsvollen EU-Haushaltspolitik zurück“, betont deren wirtschaftspolitischer Sprecher Markus Ferber (CSU). „Das neue Regelwerk schafft mehr Klarheit und setzt die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides Fundament.“

Scharfe Kritik kam allerdings von den Linken. „Die festgelegten Ziel- und Schwellenwerte zum jährlichen Abbau von Schulden oder zur Senkung des Defizits sind Irrsinn und Willkür“, sagte ihr Fraktionsvorsitzender im EU-Parlament, Martin Schirdewan am Samstag. Damit werde die Wirtschaft „mit voller Wucht an die Wand“ gefahren.

Damit die Reform in Kraft treten kann, muss die Einigung noch vom EU-Ministerrat und vom Plenum des Europaparlaments bestätigt werden. In der Regel ist dies eine Formsache.