Am Hengel-Haus gibt es viel zu tun. Es ist denkmalgeschützt. Foto: Simon Granville

Vermutlich jeder Münchinger kennt das ortsbildprägende, denkmalgeschützte Fachwerkgebäude mit den aufeinander zulaufenden Treppen in der Hauptstraße gegenüber dem Rathaus. Es sucht schon lange einen neuen Besitzer – und jetzt bringt sich die Stadt in Position.

Hunderte Jahre ist es alt, prägt seit seinem Bau zwischen den Jahren 1709 und 1725 das Ortsbild, gilt als bedeutendes historisches Kulturgut – doch unbedingt haben wollte das Hengel-Haus in der Münchinger Hauptstraße gegenüber dem Rathaus keiner, seitdem es seit einigen Jahren zum Verkauf und leer steht. Die Stadt spielt mit dem Gedanken, es zu erwerben und ein Kaufangebot abzugeben. In einer – mittlerweile inaktiven – Anzeige im Internet werden 1,5 Millionen Euro verlangt.

Ob es tatsächlich so weit kommt, ist offen. Denn einmal wissen weder die Stadtverwaltung noch der Gemeinderat, was sie dann mit dem Gebäude anstellen sollen. Und es ist unklar, welche Kosten zum Kaufpreis auf die Stadt zukommen.

Gutachten und Nutzungskonzept werden erstellt

Der Anfang ist nun gemacht: Mit knapper Mehrheit beschloss der Gemeinderat, dass der Wert des Hauses mit einem unabhängigen Gutachten ermittelt wird – dies beantragte erfolgreich der CDU-Fraktionschef Oliver Nauth – und die Stadt ein Nutzungskonzept erstellt.

Das Erdgeschoss mit der Wohnung lässt sich laut dem Bauamtsleiter Alexander Bagnewski „relativ schnell“ nutzen, der Rest nur mit einem aufwendigen Umbau, zu dem auch gehört, den Brandschutz auf Stand zu bringen.

CDU-Chef: „Hohes finanzielles Risiko“

Das wäre allerdings bloß ein Teil der Kosten: Neben den Kaufnebenkosten und Kosten für den Umbau und die Renovierung gemäß Nutzungskonzept und den damit verbundenen Auflagen und Vorgaben der Behörden – außer Brandschutz etwa die Arbeitssicherheit – braucht es zudem Geld, um sowohl die genutzten als auch weniger genutzten Gebäudeteile zu erhalten und zu unterhalten.

Auch eine aktuelle Wertermittlung sollte aus Sicht der Stadtverwaltung erfolgen, damit der Kauf in der Gesamtkalkulation betrachtet werden könne. Nach Oliver Nauths Meinung ist selbst besagte Wohnung nicht so gut erhalten. Der CDU-Chef warnte vor einem „hohen finanziellen Risiko“.

Geben Bürger nun Anregungen?

Ähnlich sieht das Marianne Neuffer (Freie Wähler). Alte Gebäude, sagte die Vorsitzende der Fraktion, bergen generell viele Risiken. Bestes Beispiel sei das Münchinger Rathaus, das seit geraumer Zeit umfassend saniert wird. Doch gebe es gute Beispiele, wie Kommunen alte Gebäude gekauft und umgewidmet hätten – wenngleich das für den Ort ein finanzieller Kraftakt gewesen sei.

Marianne Neuffers Fraktionskollege Paul Blank findet es gar „fahrlässig, kein Nutzungskonzept zu erstellen“. Die Bürger hätten sicherlich Interesse daran, das Haus der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. „Eventuell kommen jetzt Anregungen aus der Bürgerschaft“, sagte Paul Blank.

SPD bringt Bürgerstiftung ins Spiel

Isolde Onken (Grüne) und Renate Haffner (SPD) indes sind dagegen, dass sich die Stadt des Hengel-Hauses annimmt. Ihr fehle jetzt schon Geld und Personal. Renate Haffner schlug vor, dass doch eine Bürgerstiftung als Träger das Gebäude nutzen könne. Was der Bürgermeister Alexander Noak (parteilos) aber bezweifelt. Eine Bürgerstiftung werde das finanziell nicht leisten können, wenn selbst die Stadtverwaltung und der Gemeinderat große Bedenken hätten. Da müsste schon die Kommune oder jemand anderes noch einiges an Geld zuschießen.

Erst Hirsch, dann Hengelhof: Das Fachwerkgebäude hat eine aufregende Vergangenheit

Ziemlich viel los
Die Geschichte des Hengel-Hauses reicht bis vor den Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) zurück. Heute ist das landwirtschaftliche Anwesen mit großer Scheune verwaist, früher aber war dort ziemlich viel los. Ursprünglich war das Hengel-Haus der Gasthof „Zum Hirsch“. Jedoch war das Gebäude zunächst ein anderes. Ein Feuer zerstörte es, und so entstand das Fachwerkgebäude mit der charakteristischen Hausstaffel, den zwei aufeinander zulaufenden Treppen.

„Münchingens erste Adresse“
Der Hengelhof müsse den archivischen Quellen zufolge nach 1709 als wiederaufgebaute Wirtschaft zum Hirschen errichtet worden sein, berichtete im Oktober 2012 der damalige Stadtarchivar Alexander Brunotte in seiner Rede. Die hielt er bei der Verleihung der Ehrenmedaille an den damaligen Eigentümer Kurt Hengel für seine Verdienste um die Renovierung und Sanierung des Hauses. Das als Gastwirtschaft bis zum Jahr 1812 als „Münchingens erste Adresse“ galt.

Wirtshaus mit vielen Funktionen
Erbauer waren laut Brunotte Jerg Schopf und sein Sohn Sebastian, der bereits anno 1709 einen Gebäudesteueranteil bezahlte und ein Vorfahre Kurt Hengels war. Noch zu Lebzeiten des im Jahr 1728 verstorbenen Vaters habe Sebastian Schopf den „Hirschen“ übernommen, als Speisewirtschaft mit Beherbergungsbetrieb. „Im Hirschen pulsierte das Leben“, so Brunotte. Geschäfte seien dort getätigt worden, Verträge hätten ihre Rechtskraft erhalten. „Dass auch Gemeindepolitik im Wirtshaus gemacht wurde – und wird –, brauche ich nicht zu erwähnen“, sagte Alexander Brunotte weiter. Aber natürlich sei das Wirtshaus auch eine Stätte der Feiern und Vergnügungen gewesen.

Vom Hirsch zum Hengelhof
Nach dem Jahr 1812 wurde das Anwesen nur noch als bäuerliches Gut geführt. Als Gründe vermutet Alexander Brunotte die „angespannten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse während der Napoleonischen Kriege“. Seinen öffentlichen Charakter habe das Anwesen wiedererlangt, als aus der ehemaligen Hirschwirtschaft der Hengelhof wurde. Anno 1891 ging es in den Besitz der Familie Hengel über – Jakob Friedrich Hengel, Kurt Hengels Großvater, kam im Jahr 1886 als Lehrer nach Münchingen und heiratete die Hoferbin Katharina Barbara Schaible. Fortan kümmerte er sich um die Geschäfte auf dem Hof, war Gemeinderat und später Schultheiß, bis er im Jahr 1925 starb. Unter dem Schultheiß Hengel sei Münchingen modern geworden, sagte Alexander Brunotte, bekam elektrischen Strom, wurde an die Strohgäubahn angeschlossen. Gelegentlich habe Hengel auch daheim Amtsgeschäfte getätigt.

Aussehen bewahrt
Seit rund 200 Jahren hat das Hengel-Haus, das mittlerweile Wolfgang Hengel gehört, sein Aussehen kaum verändert. Kurt Hengel, gestorben im Jahr 2014, habe es in jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit detailgetreu nach den ursprünglichen ersten Plänen restauriert. Alexander Brunotte: „Wenn Schultheiß Hengel ein Synonym für den Wandel in Münchingen ist, so steht das Haus, das mit seinem Namen verbunden ist, für das genaue Gegenteil: Konstanz.“