Ein Weißstorch (Ciconia ciconia) (Archivbild) Foto: Imago/Imagebroker

Störche, die ihren Nachwuchs aus dem Nest schubsen oder gar auffressen, und Löwen, die die Jungen ihres Vorgängers töten – für Menschen wirkt das befremdlich. Im Tierreich ist das Töten des Nachwuchses weiter verbreitet als man denkt. Was dahinter steckt.

Vor rund drei Jahren sorgte in Ungarn eine Live-Übertragung von einem Schwarzstorchen-Nest in den sozialen Medien für Aufregung. Der Grund: Nutzerinnen und Nutzer konnten auf Facebook ungeschönt beobachten, wie das Schwarzstorchpaar seinen jüngsten Nachwuchs tötete. Ereignet hatte sich der Vorfall im Nationalpark Gemenc im Süden des Landes.

Hier konnte man nämlich über Kameras live beobachten, was im Nest eines Schwarzstorchen-Paars passiert – und so eben auch die Tötung des Nachwuchses. Die Empörung in den sozialen Medien war groß, wie das Nachrichtenportal „444.hu“ berichtete. Der Livestream wurde daraufhin eingestellt. Ist so ein Verhalten der Störche normal? Was hat es damit auf sich?

Verhalten wird als „Kronismus“ bezeichnet

Wenn Störche ihre Jungen auffressen oder einfach lebendig aus dem Nest werfen, wird ein solches Verhalten als „Kronismus“ bezeichnet. Der Vorgang bezieht sich auf eine griechische Sage.

In der soll der Titan Kronos vorsorglich seine Kinder aufgegessen haben, damit sie ihm später nicht den Thron wegnehmen können. So etwas kann vorkommen und ist besonders bei erstbrütenden Elternvögeln zu beobachten, deren Brutpflegeinstinkt noch nicht ausgereift ist.

Warum passiert das?

Was genau diese abnormale Verhaltensweisen auslöst, ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt mehrere Theorien: Vermutlich spielen Nahrungsknappheit und andere Stressoren eine Rolle. Forschende vermuten, dass besonders Tiereltern, deren Brutfürsorge besonders aufwendig ist, so handeln. Sie töten ihr schwächstes Junges, wenn es so aussieht, als würde es nicht mehr genug Nahrung für alle anderen geben.

Biologe Mario Ludwig sagte dazu gegenüber Deutschlandfunk Nova, dass die Überlebenschancen der anderen Jungen erhöht werden, wenn das schwächste Glied – dessen Chance zu überleben sowieso gering wären – getötet wird.

Störche eigentlich fürsorgliche Eltern

In der Regel sind Störche fürsorgliche Eltern. Sie kümmern sich abwechselnd um den Nachwuchs, indem sie ihr Gelege aus drei bis fünf Eiern wärmen und den Jungtieren regelmäßig Futter bringen.

Grund für den Vorfall in Ungarn soll gewesen sein, dass Nahrungsmangel drohte. Im Frühjahr herrschte Dürre, Fische und Frösche – die bevorzugte Nahrung von Störchen – waren knapp..

Infantizid im Tierreich

Dass Eltern ihren Nachwuchs töten, kommt im Tierreich öfters vor. Dafür gibt es den Begriff „Infantizid“. Man bezeichnet damit die Tötung von Jungtieren durch die eigenen Eltern. In einigen Fällen kann sich das auch auf den Nachwuchs fremder Artgenossen beziehen.

Ein Beispiel sind Löwen. Manche von ihnen töten die Jungen ihres Vorgängers, sobald sie die Herrschaft über das Rudel übernommen haben, sagt Biologe Ludwig. Die Löwinnen, die sich sonst um den Nachwuchs kümmern müssten, stehen den neuen Männchen dann schneller als Fortpflanzungspartner zur Verfügung.

Schnell eigenen Nachwuchs zu bekommen, sei den Anführern von Rudeln besonders wichtig, da der Abstand zwischen den Geburten zwei bis drei Jahre beträgt, so der Experte. Da ihm durchschnittlich nur drei bis fünf Jahre bleiben, bis er wieder von einem jüngeren und stärkeren Männchen als Rudelchef abgelöst wird, müsse sich der Löwe eben beeilen, sagt Ludwig.

Infantizide werden somit unter anderem als Fortpflanzungsstrategie angewendet. Sie sind außerdem weit verbreitet - so etwa bei Braunbären, Pavianen, Schimpansen und zahlreichen Nagetieren.