Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Israel steht unter wachsendem Druck, mehr Hilfslieferungen zuzulassen. Foto: Mohammed Talatene/dpa

Die humanitäre Not in Gaza wird von Tag zu Tag schlimmer, Israel aber weist Kritik ab. Auch über US-Präsident Biden ist man in Israel zunehmend verärgert. Die News im Überblick:

Gaza - Israel steht angesichts der katastrophalen Lage der Menschen im umkämpften Gazastreifen international unter wachsendem Druck, mehr Hilfslieferungen auf dem Landweg zuzulassen. Auf Anweisung der Regierung in Jerusalem wurde nun ein Konvoi aus sechs Lastwagen mit Hilfsgütern des Welternährungsprogramms (WFP) über eine neue Straße des israelischen Militärs in den Norden des abgeriegelten Küstenstreifens gelassen, wie die Armee auf Telegram bestätigte.

Es habe sich um ein Pilotprojekt gehandelt, um zu verhindern, dass die Hilfsgüter in die Hände der islamistischen Hamas fallen. Die Ergebnisse würden jetzt der Regierung vorgelegt, teilte die Armee mit. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell beklagte derweil vor dem Weltsicherheitsrat eine Blockade von Hilfslieferungen. Ohne Israel beim Namen zu nennen, sagte er vor dem höchsten UN-Gremium in New York: "Hunger wird als Kriegswaffe eingesetzt."

Medien: Netanjahu erbost über US-Geheimdienstbericht

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist einem Medienbericht zufolge unterdessen zutiefst verärgert über einen US-Geheimdienstbericht, der seinen bevorstehenden Sturz in Aussicht stellt. Der Regierungschef schäume vor Wut, berichtete der Nachrichtensender Channel 12. Die amerikanischen Geheimdienste hatten in ihrem am Vortag bekannt gewordenen Bericht die Erwartung geäußert, dass die israelische Bevölkerung das Vertrauen in Netanjahus Führungsqualitäten verloren habe und in Massenprotesten seinen Rücktritt und Neuwahlen fordern werde. Netanjahu werde deshalb "eine starke, öffentliche und dramatische Konfrontation" mit US-Präsident Joe Biden suchen, hieß es bei Channel 12 unter Berufung auf nicht näher genannte hohe Beamte.

Das israelische Ministerpräsidentenamt verschickte an israelische Medien die geharnischte Erklärung eines gleichfalls nicht namentlich genannten Spitzenvertreters der Regierung. "Israel ist kein Protektorat der USA, sondern ein unabhängiges und demokratisches Land, dessen Bürger es sind, die die Regierung wählen", hieß es darin. "Wir erwarten von unseren Freunden, dass sie das Terrorregime der Hamas zu Fall bringen und nicht die gewählte Regierung in Israel." Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter. US-Präsident Biden hatte jedoch zuletzt Netanjahu wegen der immens vielen zivilen Opfer in Gaza und wegen der Verhinderung ausreichender humanitärer Hilfe immer offener kritisiert.

UN dringen auf mehr Hilfe per Lastwagen

Auch die Vereinten Nationen drängten zuletzt darauf, die Hilfslieferungen per Lastwagen auszuweiten und den Transport der Güter auch über Grenzübergänge zum besonders betroffenen Norden des Palästinensergebiets zuzulassen. Mit dem jetzt ersten erfolgreichen Konvoi in den Norden seit dem 20. Februar habe man in der Nacht zum Dienstag auf der neuen Militärstraße Lebensmittel für 25.000 Menschen in die Stadt Gaza liefern können, teilte das Welternährungsprogramm mit.

Die Route verläuft von der Mittelmeerküste bis zur israelischen Grenze nahe dem Kibbuz Beeri, das am 7. Oktober bei dem von Terroristen der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Gruppen in Israel angerichteten Massakers überfallen worden war. Das Massaker war der Auslöser des Krieges im Gazastreifen.

Da die Menschen im Norden des kleinen Küstengebiets am Rande einer Hungersnot stünden, brauche es aber jeden Tag Lieferungen, erklärte das WFP. Am selben Tag war das Schiff "Open Arms" von Zypern in Richtung Gaza in See gestochen. Es zieht eine Plattform mit rund 200 Tonnen Trinkwasser, Medikamenten und Lebensmittel. Wo und wie es vor dem Gazastreifen die Fracht abladen soll und wie die Verteilung erfolgt, ist noch unklar. Seetransporte von Hilfsgütern in den Gazastreifen können laut einem Sprecher der Vereinten Nationen jedoch nicht den Mangel an dringend benötigten Lkw-Lieferungen wettmachen. 

Pistorius gibt grünes Licht für Abwurf von Hilfsgütern

Unterdessen hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius grünes Licht für den Abwurf von dringend benötigten Hilfsgütern über dem Gazastreifen durch die Luftwaffe gegeben. Der SPD-Politiker erteilte am Mittwoch einen entsprechenden Auftrag an die Bundeswehr, wie die Deutsche Presse-Agentur in Berlin erfuhr. Aus dem Militär waren zuvor bereits entsprechende Vorbereitungen bestätigt worden, bei denen in Frankreich stationierte C-130-Transportflugzeuge der Bundeswehr eingesetzt werden könnten. 

"Den Menschen in Gaza fehlt es am Nötigsten. Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass sie Zugang zu Nahrung und Medikamenten bekommen", teilte Pistorius mit. Dazu stelle die Bundeswehr zwei Transportflugzeuge vom Typ C-130 Hercules bereit, die jeweils bis zu 18 Tonnen Last transportieren könnten. Und: "Zur Wahrheit gehört: Der Abwurf ist nicht ungefährlich. Die dafür vorgesehenen Crews sind für entsprechende Verfahren ausgebildet und sehr erfahren." Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, erteilte für das Abwurfverfahren unterdessen eine Sondergenehmigung.

Israel wehrt sich gegen Kritik wegen der katastrophalen Versorgungslage im Gazastreifen. Derzeit kämen sogar mehr Hilfsgüter in den abgeriegelten Küstenstreifen als vor Beginn des Krieges, erklärte die Regierung. Ein Sprecher der Vereinten Nationen sagte, es reiche nicht, die Lastwagen zu zählen, die Grenzposten überquerten. UN-Angaben zufolge liegt das Problem bei der Verteilung der Güter innerhalb des Kriegsgebiets. Laut dem UN-Nothilfebüro Ocha erreichten etwa im Februar nur die Hälfte aller geplanten Hilfskonvois die Gebiete, für die sie bestimmt waren. Bei den übrigen Lieferungen habe die israelische Unterstützung gefehlt. Die Verteilung erfordere Koordination mit dem israelischen Militär.

"Rote Linie": Biden-Berater weist Spekulationen zurück

Das Weiße Haus wies derweil Berichte über mögliche politische Konsequenzen im Fall einer israelischen Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Süden Gazas zurück. Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan kommentierte Medienberichte, wonach Biden in so einem Fall erwäge, weitere Militärhilfen für Israel an Bedingungen zu knüpfen. Diese Berichte basierten auf "uninformierten Spekulationen" anonymer Quellen, sagte Sullivan. Biden hatte eine mögliche Rafah-Offensive Israels am Wochenende in einem Interview zu einer "roten Linie" erklärt. In Rafah suchen derzeit 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Schutz vor den Kämpfen in den anderen Gebieten des Gazastreifens.  

Bidens Sicherheitsberater kritisierte einmal mehr entsprechende Gedankenspiele der israelischen Führung. "Eine Militäroperation in Rafah, die die Zivilbevölkerung nicht schützt, die die Hauptadern der humanitären Hilfe abschneidet und die enormen Druck auf die israelisch-ägyptische Grenze ausübt", sei nichts, was die US-Regierung unterstützen könne, sagte Sullivan. "Wir sprechen mit den Israelis darüber", betonte er. Die eigentliche Frage sei aber, was vor Ort passiere, nicht, was in der öffentlichen Sphäre ausgetauscht werde.