Andreas Willberg mit seinem Chor in der Stiftskirche Foto: Avanti/Ralf Poller

Mit dem „Evensong“ hat das Chorensemble Marbach in Oberstenfeld ein spirituelles Klangerlebnis geboten.

Gute geistliche Musik verlangt nach einem passenden Rahmen, einem geeigneten Ort und einer bestimmten Zeit. Wenn alles zusammenpasst – die Lokalität, die Tageszeit, die Musik und ihre Interpretation – dann kann ein besonderes, ganzheitliches Klangerlebnis entstehen. Genau das gelang jetzt dem Marbacher Chorensemble unter der Leitung von Bezirkskantor Andreas Willberg mit dem „Evensong“.

Der Ort: die Stiftskirche in Oberstenfeld mit ihrer beeindruckenden romanischen Architektur, wo schon früher, über Jahrhunderte hinweg, die Frauen des Stiftes Oberstenfeld Gott angebetet und gelobt haben. Die Zeit: Samstag abend, die Stunde vor der Dämmerung. Die Musik: „Evensong,“ ein ganzer Gottesdienst nach Art der Church of England, der anglikanischen Kirche.

Jubilierende Soprane, tiefgründige Bässen

Andreas Willberg informierte: In England werden traditionelle Abendgottesdienste gefeiert, in denen fast durchgehend Chöre singen, von der Eröffnung über Psalmgebete und Lobgesänge bis hin zum Segen. Jetzt in der Stiftskirche a cappella sauber und engagiert dargeboten von den Mitgliedern des Chorensembles Marbach, an diesem Abend 15 Frauen und sieben Männer, von den jubilierenden Sopranstimmen bis hin zu den tiefgründigen Bässen.

Für den Auftakt versammelte sich der Chor auf der höchsten einsehbaren Ebene der Kirche, direkt im Turmchor vor dem großen Flügelaltar, und sang ein „Luzernar“. Ein traditionsreiches Element von Gottesdiensten schon der alten Kirchen, in einer ostkirchlichen Variante. Einer der Sänger rief Christus an: „Sei gegrüßt, Herr Jesus“, der Chor antwortete: „Der Tag ohne Abend bist du, alles durchdringendes Licht . . .“ Die zuerst verhaltenen, getragenen Töne mündeten alle in ein mehrfaches Halleluja.

Reise durch vier Jahrhunderte

So nahmen Willberg und sein Ensemble die Zuhörerinnen und Zuhörer in der Stiftskirche mit auf eine Reise durch vier Jahrhunderte geistlicher Gesänge und damit auch durch verschiedene spirituelle Traditionen. Aus der frühen Neuzeit zum Beispiel die Eröffnung des englischen Komponisten William Byrd – ein Zeitgenosse Shakespeares – „Herr öffne meine Lippen..“ Modern dagegen der Hymnus „Bevor die Sonne sinkt“, komponiert vom Eichstätter Kirchenmusiker Markus Eham. Bei diesem Stück sorgten die dunklen Bässe für kräftige, bewegende Klänge.

Ungewöhnlich, doch interessant: Der „269. Psalm“ des zeitgenössischen österreichischen Komponisten Peter Planyavsky. Wie das, da die Bibel doch nur 150 Psalmen enthält? Dieses Stück ist eine Kombination der Psalmen 148 und 121, ein kunstvolles Mit- und Ineinander von Bitte, Gebet und Lob, von geistlicher Frage und geistlicher Antwort.

Vielleicht das bekannteste Stück war der Lobgesang der Maria, das Magnificat, das der deutsche Barockkomponist Heinrich Schütz geschrieben hat: das großartige, triumphierende Bekenntnis der Maria erfüllte jubilierend und vielstimmig den weiten Kirchenraum; wie Fanfarenstöße gesungen die Verse „Er stößet die Gewaltigen vom Stuhl und erhöhet die Niedrigen.“ Bei diesem Gesang stiegen insbesondere die hellen Sopranstimmen beim Lobpreis immer wieder hoch und höher empor.

Es war mehr als eine Gesangsdarbietung, es war auch ein Gottesdienst. Der Oberstenfelder Pfarrer John Walter Siebert las aus dem ersten Petrusbrief und dem sechsten Kapitel des Lukas-Evangeliums und sprach ein Fürbittengebet. Thomas Meyer an der Orgel setzte mit einem Chorale Prelude und der Magnificat-Sonate von Josef Rheinberger weitere Akzente.

Beifall für die bewegende Vorstellung von Andreas Willberg und seinem Ensemble gab es reichlich – und als Dank noch einen Abendkanon für den Nachhauseweg: „Ruhet von des Tages Müh“. Ein schöner Abschluss nach eindrucksvoller geistlicher Musik. Am Sonntagabend konnten dann auch die Marbacher in der Alexanderkirche den „Evensong“ genießen.