Müssen Kinder mit diesen Bausteinen wirklich schon den Eiffelturm nachbauen können? Foto: Adobe Stock/Jacob Ammentorp Lund

Eltern schwören, sie würden ihre Kinder nie vergleichen. Und sie tun es doch. Dabei beeinflussen abwertende Vergleiche Kinder, lange bevor sie sich ausdrücken können.

Spaghetti bolognese. Der Sohn stochert in seinen Nudeln herum. Nur mit Butter, sogar den Parmesan schob er weg. „Schau mal deine Schwester an. Die isst die Soße immer. Sogar gerne.“ Wohl die meisten Eltern möchten ihre Kinder nicht vergleichen. Nicht in Gedanken und schon gar nicht laut vor ihnen selbst.

Wir tun es dennoch, auch wenn das niemand gerne zugibt. Es geht bereits los, wenn die Kinder noch Babys sind. „Hatte der große Bruder in dem Alter nicht schon Haare?“, fragen sich Eltern. „Sollte die Kleine nicht langsam mal durchschlafen? Bei der großen Schwester waren die Nächte nicht so anstrengend.“ Und es hört später im Schulalter nicht auf: Tom kann alles reparieren, Lukas hat zwei linke Hände. Marie schreibt nur Einsen, Leon leider nicht.

Wir tappen in die Vergleichsfalle

Und auch als Erwachsene sind wir vor den Vergleichen unserer Eltern nicht sicher. Beiläufige Bemerkungen über den Bruder und sein Eigenheim, während wir noch immer in einer Wohngemeinschaft leben. Wir spüren, wie stark sie uns verletzen können. Bei unseren eigenen Kindern wollen wir es besser machen, schwören sich Eltern. Und tappen im Alltag dann doch in die Vergleichsfalle.

„Eltern orientieren sich in der Regel an ihrem leistungsstärksten Kind und wünschen sich, dass die anderen dasselbe Leistungsniveau erreichen“, sagt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Eva Frank.

Psychotherapeutin Eva Frank Foto: privat

Sie behandelt seit mehr als 20 Jahren Kinder und Jugendliche, führt Gespräche mit den Eltern und weiß aus der Praxis, was Vergleiche bei Kindern anrichten können. „Erreicht das andere Kind jedoch nicht dasselbe Leistungsniveau wie das Geschwisterkind und hängt ständig hinterher, sind Eltern oft enttäuscht. Solche Fälle sehen wir häufig.“

Eigene Defizite

Wenn Eltern ihre Kinder immer wieder verglichen und großen Wert auf besondere Leistungen legten, sagt die Psychologin Frank, dann steckten oftmals eigene Defizite dahinter. Einige Eltern wünschten sich für ihre Söhne und Töchter Ziele, von denen sie selbst träumten: Erfolg im Sport, gute Schulnoten, ein Jurastudium.

Andere schämen sich laut der Expertin, wenn eins ihrer Kinder nicht die vermeintlichen Vorgaben der Gesellschaft erfüllt. „Einige Eltern sehen ihre Kinder als verlängerten Arm, als Optimierung ihres Selbst“, sagt Frank. Das – angebliche – Scheitern eines ihrer Kinder beziehen diese Eltern auf sich selbst – und reagieren gekränkt. Vielen ist gar nicht bewusst, wie sehr sie ihre Kinder damit verletzen können.

Ein häufiger Grund, weshalb Eltern ihre Kinder vergleichen, seien gestiegene Erwartungen von außen, sagt Eva Frank. Leistung nehme in unserer Gesellschaft einen immer höheren Stellenwert ein. „Der Druck ist groß. Und er kommt von allen Seiten.“ Nie zuvor hatten wir so viel Wissen wie heute über gesunde Ernährung, kindliche Entwicklung und Erziehung. Eltern wollen alles richtig machen – und schießen dabei manchmal übers Ziel hinaus.

Leistungsdruck von allen Seiten

Früher spielten Kinder nach der Schule im Hof, hatten jede Menge freie Zeit. Heute möchten viele Eltern ihre Kinder fördern, durch musikalische Früherziehung und Turnen am Nachmittag – jede Minute sinnvoll nutzen. „Es ist nicht leicht, sich diesem Druck zu entziehen“, sagt die Psychologin. Die zunehmende Fokussierung auf Leistung sollte uns Sorgen machen, meint sie. Und: Ständige Vergleiche seien weder dem Familienklima noch der gesunden Entwicklung eines Kindes förderlich.

„Kinder bemerken bereits mit einem Jahr, wenn ihre Eltern über sie reden“, sagt Frank. Lange bevor sie selbst das Sprechen lernen, würden Kinder schon mitbekommen, was wir über sie erzählen. Ob es ein Lob ist oder eine Kritik.

Sagen Eltern häufig vor ihrem Kind, dass die Schwester im Aufräumen, Malen oder Fußballspielen besser ist, dann kann das sein Selbstwertgefühl beeinträchtigen, schließlich sind Kinder noch keine ausgereiften Menschen. Ihr Selbstbild muss sich erst noch entwickeln – und das hängt im hohen Maße vom Blick der Eltern ab, wie der britische Psychoanalytiker John Bowlby in seinem Buch „Bindung“ über die Eltern-Kind-Beziehung zeigt.

Wenn die „positive Rolle“ bereits vergeben ist

Allerdings komme es auf die Häufigkeit an, ob Vergleiche Kinder nachhaltig in ihrer Seele verletzten, sagt Frank. In dem Beispiel vom Spaghetti-Essen zählt demnach, wie oft man so etwas zum Sohn sage, ob man ihn beispielsweise täglich als schlechten Esser bezeichne, auch vor Nachbarn und Bekannten. Es kommt auch darauf an, ob seine Schwester ständig als positives Gegenbeispiel beleucht wird, auch bei anderen Verhaltensweisen.

Dann könnte der Sohn das Gefühl bekommen, er würde weniger geliebt werden. Gelegentliche Vergleiche, durch die Eltern nicht ständig das eine Kind abwerten, richten in der Regel noch keinen Schaden an. Problematisch wird es, wenn ein Kind immer als Vorbild gilt, das andere immer als Problemkind.

„Wenn die positive Rolle schon vergeben ist, hat das schwächere Kind keine Chance, es besser zu machen“, sagt Frank. Doch auch das andere Kind, die vernünftige Schwester, könne darunter leiden: Auch sie dürfe nicht aus der ihr zugeschriebenen Rolle ausbrechen und mal Quatsch machen, ohne die Liebe ihrer Eltern zu riskieren.

Und schlicht unfair wäre es, Kinder unterschiedlichen Alters in ihren Entwicklungsschritten zu vergleichen – wer etwa besser lesen kann. Das jüngere Kind kann den älteren Bruder naturgemäß gar nicht einholen.

Und was ist mit den Eltern?

Frank sagt, wenn Kinder sich in ihrer Leistung stark unterscheiden, dann sollten Eltern besonders darauf achten, dass das schwächere Kind nicht im Schatten seiner Geschwister steht. Sie könnten es für andere Stärken loben – und darüber sein Selbstbild verbessern. Es gilt, möglichst alle Geschwister in ihren individuellen Stärken und Schwächen wahrzunehmen, jedes Kind wertzuschätzen.

Was noch hilft? Sich dem Druck von außen nicht zu beugen. „Vertrauen haben in die Fähigkeiten seiner Kinder“, sagt Frank. Und Selfcare. Wenn Mütter und Väter mit ihrem eigenen Leben zufrieden sind, wenn sie mit ihrem Beruf gut zurechtkommen und Freundschaften pflegen, dann neigen sie viel weniger dazu, ihre Kinder zu vergleichen oder sie an ihren Leistungen zu messen.