Kürzlich standen noch mögliche militärische Konflikte um Erdgasvorkommen im Mittelmeer im Raum. Warum sich die beiden Staaten nun auf eine gemeinsame Seegrenze geeinigt haben.
Noch vor Kurzem hatte es gar nicht gut ausgesehen im Konflikt zwischen Israel und Libanon um die Gasvorkommen im Mittelmeer: Vor wenigen Wochen hatte Hassan Nasrallah, Generalsekretär der radikal-schiitischen Partei und Terrororganisation Hisbollah, Israel mit Raketenangriffen gedroht – sollte das Land nicht einlenken. Israels Verteidigungsminister Benny Gantz wies die Armee daraufhin vorsichtshalber an, sich für erhöhte Spannungen an der Grenze zum Libanon vorzubereiten.
Offiziell befinden sich Israel und der Libanon im Kriegszustand
Umso größer dürfte nun vielerorts die Erleichterung ausfallen: Israel und der Libanon haben sich mit Hilfe US-amerikanischer Vermittler am Dienstag auf eine gemeinsame Seegrenze geeinigt. Israels Ministerpräsident Yair Lapid sprach von einer „historischen Errungenschaft“. Der libanesische Präsident Michel Aoun teilte seinerseits per Twitter mit, der jüngste Entwurf für ein Abkommen „befriedigt den Libanon“. Auch die mächtige Hisbollah, von Experten oft als „Staat im Staate“ beschrieben, hat Medienberichten zufolge ihre Zustimmung erteilt.
Offiziell befinden sich Israel und der Libanon weiter im Kriegszustand; sie verhandelten daher nicht direkt, sondern unter Vermittlung des US-amerikanischen Diplomaten Amos Hochstein, dem US-Sondergesandten für internationale Energiefragen.
Raketendrohungen in Richtung Israel
Die Grenze zwischen beiden Ländern auf Land wie auf See ist seit Langem umstritten. Doch seine Brisanz hatte der Konflikt um die Seegrenze erst erhalten, als vor der Küste vor einigen Jahren Gasvorkommen entdeckt wurden. Eines der Gasfelder, von Israel „Karish“ („Hai“) getauft, befindet sich auf israelischem Territorium außerhalb der umstrittenen Zone. Israel hatte deshalb schon 2016 die Entwicklungsrechte an internationale Ölfirmen vergeben.
Ende 2020 jedoch meldete der Libanon Anspruch auf Teile des Territoriums an, auf dem sich Karish befindet. Der damit einsetzende Konflikt erhitzte sich daraufhin stetig – bis hin zu den Drohungen Nasrallahs, Hisbollahs Raketen auf das Karish-Feld abzufeuern, sollte Israel dort mit der Gasförderung beginnen, ohne sich mit dem Libanon zu einigen.
In Israel ruft der geplante Deal gespaltene Reaktionen hervor
In dem jüngsten Entwurf des Abkommens, das noch von beiden Seiten ratifiziert werden muss, bleibt Karish in israelischem Besitz – doch Israel hat Zugeständnisse gemacht, was die umstrittene Zone zwischen den beiden Ländern betrifft. So soll etwa die nun bilateral anerkannte Grenze auf den ersten fünf Kilometern entlang der von Israel geforderten Linie verlaufen, sich darüber hinaus aber nach dem Vorschlag des Libanon richten.
Der Großteil eines weiteren, wenngleich kleineren Gasfeldes namens Qana gehört damit dem Libanon. Auch wenn es Jahre dauern dürfte, das Feld zu entwickeln, hofft das Land, damit seine massive Wirtschaftskrise ein wenig lindern zu können. Einige libanesische Nutzer reagierten auf die Verkündung ihres Präsidenten auf Twitter euphorisch, priesen ihr Staatsoberhaupt, wünschten ihm sogar Gottes Segen und kommentierten den Post mit Paraden von Herzemojis.
In Israel dagegen ruft der geplante Deal gespaltene Reaktionen hervor. Rechtsgerichtete Kommentatoren klagen, Israel habe zu große Abstriche gemacht. Und der Oppositionsführer und langjährige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat angekündigt, das Abkommen zu annullieren, sollte er nach den Neuwahlen am 1. November an die Macht zurückkehren.