Die Sandbänke zwischen den ostfriesischen Inseln aus der Luft. Foto: dpa/Sina Schuldt

Extremes Wetter, steigende Meeresspiegel und höhere Temperaturen im Zuge des Klimawandels setzen auch das Wattenmeer unter Druck, wie ein neuer Bericht zeigt. Forscher sorgen sich um mehrere Auswirkungen.

Folgen des Klimawandels an Land und auf See verändern zunehmend auf verschiedenen Ebenen das Ökosystem im Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer. Das geht aus einem neuen Qualitätsstatusbericht zum Klimawandel hervor, den das Trilaterale Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven veröffentlicht hat.

Fragiles Ökosystem gerät aus den Fugen

Unterwegs durchs Watt: Solche Schlickfelder wirken harmlos. Kommt das Wasser zurück, können sie aber den sicheren Weg nach Hause versperren. Foto: Andreas Heimann/dpa

Änderungen seien etwa beim Meeresspiegel, Temperaturen und dem Vorkommen extremer Wetterereignisse zu beobachten, sagt Julia Busch, Programmleiterin Klimawandel beim Wattenmeersekretariat. „Wenn wichtige Elemente in diesem gut eingespielten System fehlen oder sich verschieben, hat das Auswirkungen auf das ganze System.“ Hinzu komme die menschliche Nutzung des Wattenmeers etwa für Fischerei und Tourismus.

Seit der Veröffentlichung des vergangenen Statusberichts zum Klimawandel im Wattenmeer 2017 seien „beispiellose Veränderungen“ im Wattenmeer zu beobachten gewesen, erklärt die Hauptautorin des Berichts, Katja Philippart, Wissenschaftlerin am Königlichen Niederländischen Institut für Meeresforschung (NIOZ). Dazu zählten ein Massensterben von Herzmuscheln infolge einer Hitzewelle 2018, ein Rückgang des Süßwassereinflusses aus Flüssen in die Nordsee sowie ein Anstieg des Meeresspiegels.

 Maßnahmen zur Rettung des Wattenmeeres dringend erforderlich

Seit 2014 steht das Wattenmeer an der Nordsee auf der Weltnaturerbeliste der Unesco. Die Luftaufnahme zeigt die ostfriesische Insel Juist im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Foto: Ingo Wagner/dpa
Das Wattenmeer der Nordsee (Blick auf die Hallig Süderoog) ist die weltweit größte zusammenhängende Fläche aus Schlick- und Sandwatt: das Wattenmeer an den Küsten Deutschlands, Dänemarks und der Niederlande. Foto: Carsten Rehder/dpa

Es sei dringend notwendig, koordiniert Maßnahmen gegen Klimawandelfolgen für das Wattenmeer zu treffen. „Wege zu finden, die dem Ökosystem mehr Zeit geben, um sich an diese Aspekte des Klimawandels anzupassen, wird eine große Herausforderung für alle sein, die an Monitoring, Forschung und Management des Wattenmeers beteiligt sind“, sagt Philippart.

Infolge der globalen Klimaveränderungen registrieren Wissenschaftler auch zeitweise Anstiege bei Luft- und Wassertemperaturen im Nordsee-Gebiet. Die Studienautoren verweisen etwa darauf, dass im westlichen Wattenmeer im Juni vergangenen Jahres mit 18,5 Grad die höchste Meereswassertemperatur seit 160 Jahren gemessen wurde.

Tier- und Pflanzenwelt reagiert auf Klimawandel

Der Leuchtturm von Westerhever an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste bei Ebbe. Foto: Carsten Rehder/dpa

Einige Arten könnten sich gut auf höhere Temperaturen einstellen, andere weniger, betont Busch. „Eine Änderung der Artenzusammensetzung sehen wir jetzt schon.“ Wissenschaftler sehen etwa seit Längerem mit Sorge, dass sich Flug- und Rastzeiten von Zugvögeln verschieben. Der Bericht nennt als Beispiel Uferschnepfen, die ihre Rast im Wattenmeer verkürzen müssen, um mit dem durch die Erderwärmung ausgelösten früheren Schlupf von Insekten, die als Nahrungsquelle dienen, in ihrem Brutgebiet Sibirien gleichzuziehen.

Der Bericht verweist zudem auf eine Studie, wonach sich etwa auch der Wattwurm infolge des Klimawandels nach Norden bewegen und so das Vorkommen zurückgehen könnte.

Flüsse transportieren weniger Süßwasser ins Wattenmeer

Wolken spiegeln sich im Wattboden vor Upleward in der Gemeinde Krummhörn: Mit rund 10 000 Tierarten (allein bis zwölf Millionen Vögeln) gehört das Wattenmeer zu den reichhaltigsten Lebensräumen der Welt. Foto: H/auke-Christian Dittrich/dpa

Auch Auswirkungen des Klimawandels an Land bekomme das Wattenmeer zu spüren, etwa durch einen erhöhten Ressourcenverbrauch von Süßwasser an Land, sagte Busch. „Das ist ein Punkt, der bisher vielleicht wenig Beachtung gefunden hat.“ Ein Beispiel seien Änderungen beim Salzgehalt. Je weniger Süßwasser in das salzhaltige Wattenmeer kommt, desto höher bleibe der Salzgehalt, erläutert Busch. Das Wasser werde also weniger verdünnt.

Da Frühjahr und Sommer zuletzt im Durchschnitt trockener und wärmer waren, leiteten Flüsse wie Ems, Elbe und Weser weniger Süßwasser in das Wattenmeer. „Dies beeinträchtigt das Leben von Algen und damit auch von Fischen und Vögeln im Watt“, erklärt Philippart. Denn Süßwasser enthält etwa Phosphat und Stickstoff, die als Grundlage für das Algenwachstum und so für die Nahrungskette dienen.

Hitzewelle trifft Herzmuscheln

Das von Schutzstation Wattenmeer zur Verfügung gestellte Foto zeigt ein Nashornkäfer, der bei St. Peter-Ording über den Strand krabbelt. Das vier Zentimeter große Insekt ist erstmals im Juni 2019 im Weltnaturerbe Wattenmeer entdeckt worden. Foto: R/ainer Schulz/Schutzstation Wattenmeer/dpa

Auch extreme Wettereignisse wie etwa Hitzewellen werden absehbar zu einem Problem für das Leben im Wattenmeer, schreiben die Studienautoren. Philippart verweist auf das große Sterben von Herzmuscheln im Sommer 2018 im niederländischen Wattenmeer. „Neben der Hitze hatte das vermutlich auch mit dem Rückgang des Angebots an Süßwasseralgen als Nahrungsquelle für diese Muscheln zu tun.“

Der neue Bericht ist Teil einer Berichtssammlung, die die Bewertung des ökologischen Zustands des Wattenmeers widerspiegeln. Andere Statusberichte, die auch regelmäßig aktualisiert werden, beschäftigen sich etwa mit Arten und Umweltverschmutzung. An dem neuen Bericht zum Klimawandel arbeiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen drei Wattenmeer-Anrainerstaaten Deutschland, Dänemark und den Niederlanden.

Info: Richtiges Verhalten im Wattenmeer

Wander-Tipps
Der wichtigste Tipp für Watt-Wanderer liegt auf der Hand: Sie müssen wissen, wann die Flut kommt. Das aber scheint nicht für jeden selbstverständlich. Jedes Jahr – vor allem im Sommer – müssen Einsatzkräfte Wanderer, aber auch Schwimmer, Surfer oder Segler aus Notlagen retten.

Gezeiten-Kalender
Deshalb gilt als Regel: Der erste Blick vor einer Wattwanderung müsse dem Gezeiten-Kalender gelten. Wann zieht sich das Wasser zurück, ab wann steigt es wieder? Auch den Wetterbericht sollte man kennen und nur bei Tageslicht gehen. Dabei ist gegen einen Spaziergang auf dem Meeresboden dicht vor dem Strand nichts einzuwenden.

Wattführer
„Wir raten grundsätzlich dazu, nur so weit ins Watt zu gehen, dass man in zehn Minuten bei normalen Tempo wieder ans Ufer kommen kann“, sagt Tim Schriemer, Einsatzleiter der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) im Bezirk Oldenburg Nord. Für längere Strecken oder Wanderungen zu vorgelagerten Inseln sollte man sich einem Führer anvertrauen.

Priele
„Die Gefahren sind zu schwer einzuschätzen“, ergänzt Christoph Plaisier von der DLRG in Cuxhaven. Natürliche Wasserläufe im Watt – sogenannte Priele – können zu reißenden Flüssen werden, Schlickfelder den Weg versperren. „Auch Seenebel ist eine Gefahr.“ Nicht weniger lebensgefährlich sei Gewitter im Watt, „weil der Mensch der höchste Punkt ist“, erklärt Wattführer Ohle thor Straten vom Verband „Wattenlöpers“ im Nationalpark Schleswig-Holstein. Seiner Erfahrung nach passieren die meisten Notfälle, wenn mehrere Probleme zusammenkommen. Ähnlich sieht es die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen. „Ein kleines Problem kann sich auf See rasch auswachsen“, sagt Sprecher Christian Stipeldey. Das könne selbst erfahrene oder gut vorbereitete Sportler im Watt treffen.

Hilfe
Um im Notfall Hilfe rufen zu können, haben die meisten ihr Smartphone dabei. Aber nicht überall im Watt gebe es Empfang, gibt Tim Schriemer zu bedenken. Er rät dazu, auch eine Trillerpfeife parat zu haben oder notfalls das T-Shirt zu schwenken. Ein weiterer Tipp: vor der Wanderung genau Bescheid sagen, welche Route man gehen will. Dann kann der Kontakt an Land Alarm auslösen, wenn die Wanderer überfällig sind.

Weltnaturerbe
Seit 2014 steht das Wattenmeer an der Nordsee auf der Weltnaturerbeliste der Unesco. Das rund 11 500 Quadratkilometer große Gebiet erstreckt sich über eine fast 500 Kilometer lange und bis zu 40 Kilometer breite Küstenlandschaft zwischen dem dänischen Skallingen im Nordosten und dem niederländischen Den Helder im Südwesten.

Tierwelt
Mit rund 10 000 Tierarten (allein bis zwölf Millionen Vögeln) gehört das Wattenmeer zu den reichhaltigsten Lebensräumen der Welt. Pro Quadratmeter finden sich 50 000 Wattschnecken, zwölf Kilogramm Miesmuscheln, 100 Wattwürmer und 100 000 Schlickkrebse.

Ebbe und Flut
Ebbe und Das Watt wird zweimal am Tag während des Hochwassers überflutet und fällt bei Niedrigwasser wieder trocken, wobei das Meerwasser oft durch tiefe Ströme (Priele) abfließt. Der zeitliche Abstand zwischen einem Hochwasser und einem Niedrigwasser beträgt durchschnittlich sechs Stunden.