Sindelfingen feiert Vielfalt: Tanzdarbietung der portugiesischen Folkloregruppe Encontro na Berlenga auf dem Marktplatz. Foto: Eibner/W. Frank

Bei der 45. Auflage des Internationalen Straßenfests Sindelfingen strömen die Menschen in rekordverdächtiger Zahl in die Innenstadt und feiern die kulturelle Vielfalt der Stadt.

Fernöstliche Klänge legen sich über den Sindelfinger Marktplatz. Durch die Mittagshitze weht der Duft von Flammkuchen, Grillfleisch und frittiertem Langosteig. Auf der Bühne vor dem Alten Rathaus beendet eine asiatische Tanzgruppe mit Blumen im Haar und purpur-gold-farbenen Röcken über den nackten Füßen gerade ihren Sonnentanz. „Das war sehr entspannend. Da fühlt man sich wie im Urlaub“, sagt Sänger und Moderator Mario Marino vom Straßenfest-Verein. Der Sohn neapolitanischer Einwanderer führt durch das Programm auf einer von insgesamt sieben über die Innenstadt verteilten Bühnen. So sieht es aus, wenn Sindelfingen seine Vielfalt feiert.

Nur in Sindelfingen Drei Tage lang, von Freitagabend bis zum Sonntagabend, feiert die Daimlerstadt ihr Internationales Straßenfest (ISF). Es ist die 45. Auflage eines Festivals, das 1977 erstmals auf Initiative des damaligen städtischen Ausländerbeauftragten Friedrich Fausten stattfand. Fausten wollte mit dem Fest die Integration der Gastarbeiter und ihrer Familien voranbringen. Wie gut dies gelungen ist, war am Wochenende zu sehen: Unterschiedlichste Nationen präsentierten sich an 110 Ständen in der Innenstadt mit Folkloretanz und Kulinarik. Schon seit vielen Jahren dabei ist beispielsweise der Förderverein für Gürpinar, der an seinem Stand am Marktplatz türkische Küche anbietet. Beliebt sind die mit Spinat- und Schafskäse gefüllten Gözleme-Teigtaschen. „Das geht nur beim Straßenfest in Sindelfingen“, lobt Vereinschef Serdar Maraş das friedliche Miteinander der Kulturen.

Ein Foto mit dem König Ein paar hundert Meter weiter, in der Ziegelstraße, haben Sindelfingens Partnerstädte ihre Stände aufgebaut. Bei den Schweizern aus Schaffhausen bekommt man ein „Schnäpsli“, bei den Engländern aus Dronfield gibt’s neben Tea und Biscuits die Chance, sich für 50 Cent mit einem Pappaufsteller von König Charles III. fotografieren zu lassen. Die Delegation aus Dronfield samt 20-köpfigem Chor ist mit rund 45 Personen angereist – drei von ihnen sogar mit Fähre und Fahrrad. Die aus dem polnischen Chełm angereisten Frauen servieren Bigos und Piroggen und bei den Torgauern gibt es sächsisches Bier, Grillfleisch und Fassbrause. „Man trifft einfach nette Leute – und ich bin hier noch nie als Ossi angefeindet worden“, erklärt Eberhard Sowa, was für ihn den Reiz der Veranstaltung ausmacht. Der 80-Jährige ist mit der Kegelabteilung des SSV 1952 Torgau seit 15 Jahren regelmäßig beim Straßenfest dabei. In Sindelfingen kennt man ihn außerdem vom Weihnachtsmarkt, wo er jedes Jahr den Nikolaus beziehungsweise Weihnachtsmann gibt.

Besucherrekord Wer in den Abendstunden zwischen Wettbachplatz und Martinskirche unterwegs war, konnte es schon ahnen: So viele Menschen waren wohl noch nie beim Straßenfest. Andrea Santana, die Vorsitzende des für die Organisation zuständigen Internationalen-Straßenfest-Vereins schätzt, dass sich am Samstag bis zu 85 000 Leute durch die Innenstadt gedrängt haben – deutlich mehr als im Vorjahr, als man mit rund 67 000 Besuchern ebenfalls bereits Rekordwerte erreicht habe. Der große Andrang stellte zahlreiche Anbieter schon beim Auftakt vor Probleme: „Am Freitagabend ist uns vor lauter Leuten irgendwann das Essen ausgegangen“, sagte Giuseppe Barbuscia, der Vorsitzende des Italienischen Vereins Sindelfingen. Auch am Samstag und Sonntag bildeten sich unter anderem bei der Griechischen Gemeinde und dem reaktivierten Paella-Stand lange Schlangen. Am Samstagabend war es laut Andrea Santana, obwohl das ausgedehnte Festgelände einige nützliche Lücken zwischen den Ständen lässt, während der Bandauftritte an einigen Stellen zu Engpässen gekommen, weswegen hier zwischenzeitlich der Ordnungsdienst habe eingreifen müssen. Eine Enttäuschung blieb allein der Grüne Platz, wo im zweiten Jahr hintereinander Besucherflaute herrschte.

Stressfaktoren An der Besucherzahl gemessen sei das eigentliche Fest laut Organisatoren, DRK und Polizei bemerkenswert friedlich und ohne größere Vorkommnisse verlaufen. Wie zwei Streifenpolizisten am Samstag berichteten, waren aber wohl nach Festende in der Nacht zum Samstag einige alkoholisierte Besucher heftig aneinandergeraten. Bei der Polizeipressestelle in Ludwigsburg lagen dazu noch keine Informationen vor, allerdings bestätigte auch ISF-Chefin Santana den nächtlichen Disput zwischen zwei Gruppen an der Ecke Planie/Lange Straße. Festbedingten Stress hatten auch die Marktbeschicker in der Vaihinger Straße. Dorthin wurde wegen gesperrter Tiefgaragenzufahrten erstmals der Wochenmarkt verlegt – was laut Marktsprecher Rainer Klein nicht nur logistische Probleme mit sich brachte, sondern auch viele Stammkunden fernhielt. „Das war eher ein Betrieb wie an einem Donnerstag“, hätte der Ehninger Obst- und Gemüsehändler sich von Seiten der Stadt eine bessere Kommunikation gewünscht, etwa mit einem Übersichts- und Anfahrtsplan in der Lokalzeitung.

Menschen mit Herzblut gesucht „Was das Straßenfest für uns bedeutet? Unser Überleben!“, sagt Francisco Martins von der Vereinigung der Portugiesen für Kultur und Sport Sindelfingen, die mit Sepia und Sardinen vom Grill wieder scharenweise hungrige Menschen an den Wettbachplatz lockten. Wie so viele andere Vereine haben auch die Portugiesen ihre liebe Not, Mitglieder zu finden und zu halten, die so wie der Bitzer-Mitarbeiter bereit sind, drei Festtage lang jeweils bis zu 18 Stunden ranzuklotzen. Dasselbe Problem hat der ISF-Verein. Hier sucht das Vorstands-Team dringend weitere Ehrenamtliche, die „mit Herzblut bei der Sache sind und richtig anpacken wollen“, wie es Andrea Santana formuliert. Die 49-Jährige hatte zuletzt darüber nachgedacht, den Vorsitz abzugeben. An der Gewinnung neuer Mitgliedern hängt also eine Menge: für den Verein und die Zukunft des Straßenfests.