Von diesen Dienstag an ist die internationale Automesse IAA in München für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Über viele Jahre hinweg war China ein riesiger Absatzmarkt für die deutschen Autobauer. Auf der IAA in München zeigt sich, wie schnell sich Chinas Autoindustrie zum harten Konkurrenten entwickelt. Inzwischen agieren deutsche Firmen mit einem Plan B.

Geht es nach Bundeskanzler Olaf Scholz, soll das Land durch die Deutschland-Geschwindigkeit schneller vorankommen. Doch das Heimatland ist für die deutschen Hersteller heute weniger denn je der Maßstab. Man werde künftig in China-Geschwindigkeit arbeiten, erklärte Volkswagens China-Chef Ralf Brandstätter am Montag bei der IAA in München.

China treibt das etablierte Autoland Deutschland in einer Geschwindigkeit vor sich her, gegenüber der sich selbst die Beschleunigung eines elektrischen Superboliden aus Zuffenhausen oder Sindelfingen zahm ausnimmt. Bei der IAA vor zwei Jahren schien die Welt der deutschen Autohersteller noch einigermaßen in Ordnung. China machte Sorgen, weil das Land angesichts seines besonders harten Lockdowns schwächelte und man sich um die Verkaufszahlen sorgte. Doch das würde schon wieder werden, wenn sich das Land sich wieder berappelt – so die Erwartung.

Mittlerweile hat sich China wieder berappelt, aber auf eine ganz andere Weise, als man sich das in Deutschland erhofft hatte. Abgeschottet von der internationalen Öffentlichkeit züchtete China in kürzester Zeit ein Ökosystem aus pfiffigen Technologiefirmen und neuen Autoherstellern heran. Seither tobt dort ein brutaler Verdrängungswettbewerb, der auch etablierte Hersteller aus Deutschland nicht verschont. Unter den zehn größten Anbietern von E-Autos in China ist kein einziger aus Deutschland; dominiert wird der Markt von BYD aus China und dem US-Anbieter Tesla.

Gewaltige Kostenvorteile

Noch viel weniger vorstellbar erschien vor zwei Jahren, wie schnell chinesische Hersteller nicht nur auf dem Heimatmarkt, sondern auch in Deutschland zum ernst zu nehmenden Wettbewerber aufsteigen würden. Schon die Rhetorik zeigt den neuen Anspruch: Man werde „die alten Legenden der Autoindustrie zerstören“, tönte wenige Tage vor Beginn der Automesse BYD-Chef Wang Chuanfu. Jetzt legte das Unternehmen nach und kündigte mit zwei Varianten des Modells Seal zwei vollelektrische Mittelklassemodelle an – zu einem Kampfpreis ab 45 000 Euro. Man sei die „globale Nummer eins bei der E-Mobilität“, verkündet Europachef Michael Shu auf der IAA und erklärt, man habe die Mission, die Erde um ein Grad abzukühlen. Das Selbstbewusstsein kennt kaum Grenzen.

Die Wettbewerbsposition chinesischer Hersteller ist günstig, denn sie haben gewaltige Kostenvorteile. Der Autobauer BYD etwa wurde 1995 als Batteriehersteller gegründet und hat nicht nur tiefes Wissen über die Batterie, sondern auch die Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette. Zum Preisdruck trägt auch bei, dass die chinesische Autoindustrie angesichts der Größe des Heimatmarkts auf Skaleneffekte setzt: Je mehr Autos man verkauft, desto eher rentieren sich die hohen Entwicklungskosten. Autos, die zu Kampfpreisen in den Markt gedrückt werden, spielen selbst dann Geld für die Fixkosten ein, wenn sie bei einer Vollkostenrechnung nicht rentabel sind. Auf Dauer kann ein solcher Verdrängungswettbewerb nicht bestehen – doch der Druck auf die Konkurrenz könnte erst einmal weiter steigen.

Schwäche des E-Marktes

Mercedes präsentierte mit dem CLA ein für 2025 geplantes Modell, das ein echtes Weltauto werden soll, erklärte Vertriebschefin Britta Seeger in München. Es ist somit anders als die neuen Fahrzeuge im Top-Segment nicht vom chinesischen Markt her gedacht. Das erhöht die Chance, allzu einseitige Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Es ändert aber nichts an einer weiteren Herausforderung, mit der die Autobauer zu kämpfen haben: der Schwäche des E-Markts insgesamt.

Es wird immer deutlicher, dass sich Mercedes, ähnlich wie BMW, Hintertüren für diesen Fall aufgehalten hat. Die nagelneue MMA-Plattform etwa, auf der das luxuriöse Kompaktsegment aufsetzen wird, lässt weiterhin den Einbau von Verbrennungsmotoren zu. Und diese wird es auch geben. Man habe die Plattform zwar in einem ersten Schritt fürs E-Auto optimiert, sagte Konzernchef Ola Källenius, sie dann aber so abgewandelt, dass sie auch verbrennertauglich ist. 2025, wenn die neue Kompaktklasse kommt, werde noch ein beträchtlicher Teil der Kunden auf den Verbrenner setzen, begründet Mercedes-Forschungschef Markus Schäfer die Fortsetzung der mehrgleisigen Strategie. Eine Abkehr von der E-Mobilität sei damit nicht verbunden. Denn die Aufgabe, ins E-Zeitalter aufzubrechen und zugleich das riesige Spektrum an Verbrennungsmotoren auf die verschärften Abgasregelungen einzustellen, sei sehr aufwendig: „Ich wünschte, wir könnten uns maximal auf die E-Mobilität fokussieren.“

Das allerdings wird auch in China nicht einfach. Denn im Luxussegment ist die verbrennerbetriebene S-Klasse weit beliebter als das E-Flaggschiff EQS. Gerade die Käufer der Top-Modelle stehen der E-Mobilität noch skeptisch gegenüber. Das Rennen ist für Mercedes also noch lange nicht verloren, es hat im Grunde noch nicht einmal richtig begonnen. Dass sich sein Ausgang bis jetzt kaum abschätzen lässt, ist angesichts der vielen Schwierigkeiten der Branche fast schon eine gute Nachricht.