In guten wie in schlechten Zeiten: Das Ehepaar Schreiner, gespielt von Karlo Müller und Kornelia Masur Foto: Stefanie Schlecht

Wie begegnet man Menschen mit Demenz? Eine besondere Theatertruppe macht es beim Gastspiel in Herrenberg vor. Mit dabei: die Theater- und Sozialpädagogin Kornelia Masur aus Böblingen.

Der 52. Hochzeitstag der Familie Schreiner verläuft anders als geplant. Denn einer der beiden Jubilare, Dr. Hubert Schreiner, hat Demenz. Und so endet die Feier mit seiner Frau und seinen Kindern im Konflikt. Aber muss es so ausgehen?

Im so sensiblen wie unterhaltsamen Stück des Dialogtheaters Stuttgart kreierten die Theaterpädagogen und Zuschauer in der Herrenberger Spitalkirche alternative Fortsetzungen und übten sich in wertschätzender Sprache. Da unter den rund 25 Zuschauern auch Angehörige von Menschen mit Demenz waren, war das Stück doppelt lehrreich. Die Aufführung war Teil der Veranstaltungsreihe Thesa (Themen des Alters) der Stadtbibliothek und der IAV-Stelle Herrenberg, die zum Thema Pflege berät.

Das Theater belebt die Patienten

Wer aber steckt hinter dem Theaterprojekt? – Unter anderem eine Böblingerin: Kornelia Masur vereint in ihren Projekten Sozial- und Theaterpädagogik. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist das Thema Demenz, sie arbeitet aber auch mit Grundschülern. Gemeinsam mit den Mitgliedern Dialogtheaters (bis zu vier an der Zahl) besucht sie Senioreneinrichtungen in der Region Stuttgart. „Man kann unheimlich viel mit Theater bei Menschen mit Demenz bewirken. Sie werden wacher und präsenter, und es mobilisiert sie“, sagt Kornelia Masur.

Ob Clownsauftritte, Theater oder Arbeit mit Märchen, die besondere Domäne von Kornelia Masur, das Spektrum des 2017 gegründeten Dialogtheaters ist vielfältig. Das Format „Märchen aus dem Koffer“ hat sie während der Corona-Krise entwickelt. Märchen schaffen für Menschen mit Demenz Zugang zu Emotionen und bauen Brücken zum Langzeitgedächtnis. „Dabei hilft mir meine Vorerfahrung aus meiner Tätigkeit als Krankenschwester in der Klinik sowie in der ambulanten Pflege. Hier schließt sich für mich der Kreis, in dem sich beide Berufe wunderbar ergänzen“, sagt sie.

Vom Krankenhaus ans Theater

Nach einer Ausbildung Ende der 1980er Jahre war sie zunächst in der Krankenpflege in der Neurologie tätig. Von 1998 bis 2002 studierte sie an der FH in Reutlingen Sozialpädagogik und war währenddessen auf Sozialstationen und in der ambulanten Pflege tätig. Am Theaterpädagogikzentrum Reutlingen (damals noch LAG Theaterpädagogik) kam dann von 2014 bis 2019 noch eine Weiterbildung zur Theaterpädagogin dazu. Der Sozialpädagoge und Theologe Karlo Müller aus Stuttgart hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Erfahrung zum Thema Demenz beim Dialogtheater gesammelt – und er hat Kornelia Masur 2019 schließlich gefragt, „ob ich einsteigen möchte“.

Während der Pandemie entwickelte die Theatergruppe beim Projekt „Abenteuer Demenz“ ein Stück im Freien über eine Weltreise mit Musik, Versen, aus dem noch zwei Nachfolgeprojekte entsprangen, dann folgte „Der 52. Hochzeitstag.“ „Es wird immer anders, das ist das Schöne dran“, schildert Kornelia Masur die Aufführungen. Und: „Es werden viele persönliche Geschichten erzählt.“

Die Zuschauer geben Tipps

Bei der Aufführung in Herrenberg stellten Kornelia Masur und Karlo Müller in den Rollen von Gerda und Hubert Schreiner typische Situationen in der Interaktion mit an Demenz Erkrankten vor. Die Betroffenen erkennen Freunde nicht mehr wieder, vergessen Daten (den Hochzeitstag!), verlegen Dinge wie Geldbeutel und misstrauen anderen Menschen. So wirft der Erkrankte (Karlo Müller) an diesem Tag sowohl seine Krankenpflegerin als auch seine Tochter aus der Wohnung – und er schwärmt von seiner ehemaligen Buchhalterin, statt von seiner Frau.

Die Schauspieler ließen den Tag aber nicht im Fiasko enden. Sie gingen mit den Zuschauern die Situationen noch einmal durch und nahmen von ihnen Tipps an, um sie zu entschärfen. Diese beteiligten sich rege mit konstruktiven Vorschlägen, und zwei von ihnen schlüpften sogar in die Rollen der Figuren. Hilfreich, zeigte sich dabei, ist es, auf die Gefühle der Betroffenen einzugehen, sie im Alltag zu unterstützen und sie nicht mit ihrem Unvermögen zu konfrontieren. Wichtig ist auch eine offene Kommunikation über die Krankheit.

Und so endete der Hochzeitstag zu guter Letzt mit einem Tänzchen der Jubilare, und die Zuschauer konnten sich über verschiedenen Angebote zum Thema Demenz in Herrenberg informieren.

Unterstützung beim älter werden

Stück
„Der 52. Hochzeitstag“ ist Teil des Projekts „Demenz begegnen und gestalten.“ Mitfinanziert hat das Stück die Stiftung der Wohnungsbaugesellschaft Flüwo, die Menschen in herausfordernden Lebenslagen unterstützt und Quartiersarbeit stärkt.

Alter
Die Veranstaltungsreihe „Thesa“ wird einmal monatlich von der Stadtbibliothek und der IAV Stelle an verschiedenen Veranstaltungsstätten angeboten. Ziel ist es, für das Thema Altern zu sensibilisieren, was in unterschiedlichen Formaten wie Kino, Ausstellungen, Informationsveranstaltungen oder Führungen geschieht. Am 30. April ist der Film „Mitgefühl – Pflege neu denken“ im Kommunalen Kino zu sehen, der Einblick in ein dänischen Pflegeheim bietet, in dem an Demenz erkrankte Personen in einer Wohngemeinschaft leben.

Beratung
 Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige von Menschen mit Demenz ist in Herrenberg die IAV-Stelle (Kontakt via Mail: a.buck@herrenberg.de). Im Landratsamt gibt es den Pflegestützpunkt, der über Angebote im gesamten Landkreis informiert.