Die Gäste aus der Türkei treten meist sehr höflich auf, im Gegensatz zu manchen Touristen aus europäischen Ländern, berichten Gastwirte auf Lesbos. Foto: Adobe Stock/Brunsting

Griechenland und Türkei standen im Streit um die Ägäis schon mehrfach am Rand eines Krieges. Jetzt gehen die Regierungen aufeinander zu. Davon profitiert auch der Tourismus.

Nirgendwo spürt man das politische Tauwetter derzeit stärker als auf den griechischen Inseln der Ägäis. „Wir kommen plötzlich in der Nacht“ – so hatte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan noch im Oktober 2022 eine Invasion der griechischen Ägäisinseln angedroht. Jetzt kommen die Türken tatsächlich zu Zehntausenden. Aber nicht in der Nacht, sondern am helllichten Tag. Und nicht mit Landungsbooten der türkischen Kriegsmarine, sondern mit Ausflugsschiffen wie der Kaptan Sevket.

Das Schiff der türkischen Reederei Turyol fährt täglich vom Hafen Ayvalik zur griechischen Insel Lesbos. Fast alle Fahrten sind ausgebucht. Bereits in den ersten zehn April-Tagen kamen 3800 Besucherinnen und Besucher aus der Türkei nach Lesbos. Im Vorjahreszeitraum waren es nur 390. „Wir werden regelrecht überlaufen“, sagt Kostas Moutzouris, der Gouverneur der Region Nördliche Ägäis.

Das Visum kostet 60 Euro und gilt für sieben Tage

Der Andrang ist das Ergebnis einer neuen Visa-Regelung, auf die sich der griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan bei dessen Besuch in Athen Anfang Dezember verständigt hatten. Während türkische Staatsbürger bisher für Urlaubsreisen nach Griechenland ein nur schwer zu bekommendes Schengen-Visum benötigten, können sie nun bei ihrer Ankunft auf einer der griechischen Inseln ein Besuchervisum erhalten. Es kostet 60 Euro und gilt für sieben Tage.

Weiterreisen aufs griechische Festland oder in andere Staaten der Europäischen Union sind damit nicht möglich. Nachdem die EU-Kommission zustimmte, trat die Regelung zum 31. März auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Kos und Rhodos in Kraft. Demnächst sollen die Express-Visa auch auf Limnos, Leros, Symi, Kalymnos und Kastelorizo erhältlich sein.

Der Premier begrüßt die ersten türkischen Urlauber

Als das Schnellboot Esref Jale am ersten Geltungstag der neuen Regelung 92 türkische Touristen nach Lesbos brachte, wartete auf die Besucher eine Überraschung: Der griechische Premier Mitsotakis, der sich zu einem Besuch auf der Insel aufhielt, kam zum Hafen, um die Ankömmlinge persönlich mit Handschlag zu begrüßen und ihnen „schöne Ferien auf Lesbos“ zu wünschen.

Mitsotakis hofft, dass dank der Visa-Regelung vor allem in der Nebensaison mehr Besucher kommen. Die Rechnung scheint aufzugehen: Viele Hotels auf den Inseln hatten in diesem Jahr vier Wochen früher geöffnet als sonst. Auch die Ladenbesitzer auf Lesbos überlegen bereits, wegen des großen Andrangs die Öffnungszeiten zu verlängern.

Die Gäste aus der Türkei sind beliebt

Während die Türkei mit einer extremen Inflation von fast 70 Prozent kämpft, ist auf den griechischen Inseln für die türkischen Touristen fast alles billiger – trotz der Visa-Gebühr. „Sie mögen unsere Küche und freuen sich über die großzügigen Portionen“, sagt Nikos Giannakas, der Vorsitzende des Gaststättenverbandes auf Lesbos.

Auch auf anderen Inseln steigen die Besucherzahlen steil an. Auf Rhodos kamen bereits zwischen dem 1. und dem 10. April rund 6000 Gäste aus der Türkei an, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Auf Samos stieg die Zahl von 299 auf 2851. Unter dem Strich waren es auf den fünf Inseln, die bisher Express-Visa ausgeben, 21 000 Besucher gegenüber 6000 im Vorjahreszeitraum.

Die Gäste aus der Türkei sind beliebt. Sie treten meist sehr höflich und eher zurückhaltend auf, im Gegensatz zu manchen Touristen aus europäischen Ländern, berichten Gastwirte auf Lesbos. Die Beliebtheit dürfte aber noch einen anderen Grund haben. Der Gouverneur Kostas Moutzouris nennt ihn: „Die türkischen Besucher geben im Schnitt doppelt so viel aus wie die europäischen Pauschaltouristen.“

Die beiden Nachbarn können durchaus miteinander

Die neue Visa-Regelung zeigt wieder einmal: Die beiden benachbarten Völker können durchaus miteinander auskommen, sie haben sogar viele Gemeinsamkeiten. Allerdings dominieren auf der politischen Ebene immer noch die alten Reflexe. Als jetzt Griechenland die Einrichtung von zwei Meeres-Schutzgebieten in der Ägäis und im ionischen Meer bekanntgab, protestierte die türkische Regierung sofort.

Ob dennoch eine dauerhafte politische Entspannung und eine Beilegung der Streitigkeiten um die Hoheitsrechte und Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer möglich wird, muss sich zeigen. Nächste Station ist der 13. Mai: Dann will Mitsotakis in Ankara den türkischen Präsidenten treffen.