Auf zwei Rädern bleibt man jung, lebt stellenweise aber auch ziemlich gefährlich. Foto: dpa/Sina Schuldt

Mehr Platz, mehr Sicherheit, mehr Verständnis: Herrenberg tut viel für Fahrradfahrer – und hat noch mehr vor. Die Modellstadt will die alternative Fortbewegung auf zwei Rädern zunehmend alternativlos machen. Doch das ist gar nicht so einfach.

Für Schönwetter-Radler ist im November die Zeit der Zweiräder erst einmal vorbei. Nicht aber für eine Gruppe aus Verwaltung und engagierten Bürgern, die sich Zeit genommen hat für einen Rückblick, der zu einer Perspektive werden soll. Mit dem Fahrrad sind sie Teilnehmer die Wege abgefahren, die im Zuge des Modellstadt-Projekts neu gestaltet wurden. Das Urteil fällt gemischt aus: Es gibt deutliche Verbesserungen der Rad-Infrastruktur, aber es sind auch noch einige Wünsche offen.

Neue Streifen Auf den Herrenberger Hauptstraßen im Zentrum fällt besonders die farbige Markierung auf: Seit Herrenberg als Modellstadt von 2018 bis 2020 Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität getestet hat, sind auf dem Asphalt Schutz- und Radfahrstreifen aufgezeichnet sowie Aufstellflächen vor den Ampeln. Entlang der Horber, Tübinger und Hindenburgstraße sowie in der Seestraße wird damit sichtbar, dass hier nicht nur Autos, sondern auch Fahrräder das Verkehrsgeschehen mitbestimmen. Bis sich Herrenberg wirklich fahrradfreundliche Stadt nennen kann ist allerdings noch einiges zu tun, darin sind sich die Beteiligten einig.

Mehr Sicherheit Ein subjektiv verbessertes Sicherheitsgefühl hat Erster Bürgermeister Stefan Metzing beim Radfahren im Zuge der Retrospektive ausgemacht. Mit dabei waren Vertreter von ADFC und VCD sowie Sandra Böhme von der Straßenverkehrsbehörde, Verkehrsplaner Phillip Meinardus und Frank Schöck von der Stabsstelle Klima- und Umweltschutz. „Das Radeln auf der Bundes- und Landesstraße ist sicherlich nicht jedermanns Sache, bietet aber für geübte Alltagsradler ein deutliches Plus an Sicherheit und Tempo“, sagt Metzing.

Früher fanden sich parallel zur Straße Parkplätze, die ein erhebliches Unfallrisiko mit sich brachten. Durch die Beseitigung dieser Parkstände konnten die sogenannten „Dooring-Situationen“, also jene Momente, in denen sich eine Autotür quer über den Fahrweg des Radlers öffnet, und Stürze oder riskante Ausweichmanöver auslöst, aus der Welt geschafft werden.

Gefährliche Verhältnisse „Das Radfahren auf der Hindenburgstraße bleibt eine echte Herausforderung, die nur Geübte bewältigen können“, betont VCD-Sprecher Ulrich Kurz. Mit beengten Straßenverhältnissen, dem Lieferverkehr und der Priorität für das Auto auf der Autobahnumleitungsstrecke sei hier keine wirklich gute Lösung für den Fahrradverkehr möglich, bedauert der VCD.

Ein Problem sieht der ADFC laut Gerhard Strubbe im Fahrverhalten der motorisierten Verkehrsteilnehmer: „Lieferdienste stehen häufig auf dem Radstreifen und Autos überholen oft mit zu geringem Abstand und gefährden damit die Radfahrenden“, moniert er. Trotzdem sei es grundsätzlich besser, dass der Radverkehr vom Gehweg auf die Straße verlagert wurde.

Beide Vereine sehen die durchgehende Radverkehrsführung über die Horber Straße als deutliche Verbesserung. Allerdings endet das Lob an der Einmündung zum Reinhold-Schick-Platz: hier fehlten Schutzstreifen, kritisieren beide. Die Umsetzung ist an der Fahrbahnbreite gescheitert – es ist schlicht nicht genug Platz dafür vorhanden.

Irritierende Pfeile Kritische Punkte diskutiert Gemeinsam wurden weitere kritische Punkte vor Ort diskutiert, wie die Pfeilmarkierungen für Radler. Die Wegeführung sei irreführend, lautet die Kritik. Die Verwaltung will nachbessern und prüfen, ob sich die Radschutzpiktogramme anders darstellen lassen. Eine kniffelige Aufgabe stellt die Radverkehrsführung zwischen Hildrizhauser Straße (L 1184) und der Altstadt dar. „Die fehlende Ausbaubreite des Gehweges lässt die Freigabe des Radverkehrs leider nicht zu“, betont Sandra Böhme. Wegen fehlender attraktiver Alternativen fahren hier dennoch täglich viele Radfahrer den Gehweg entlang.

Weitere Maßnahmen Die Maßnahmen stellen einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer radverkehrsfreundlicheren Infrastruktur dar. „Manch guter Vorschlag aus Radler-Perspektive scheitert dennoch an baulichen Gegebenheiten oder an fehlender Fläche“, bedauert Metzing und dankt den Beteiligten für ihre ihren Einsatz für besseres Radfahren in Herrenberg.

Mit der Fortschreibung des Radverkehrsplans (2019) hat sich die Stadt Herrenberg das Ziel gesetzt, den Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen zu erhöhen. Nach der Umsetzung der ersten Maßnahmen im Rahmen eines Sofortprogramms und der Modellstadt arbeitet die Verwaltung nun prioritär an der Realisierung eines Innenstadtrings. Dieser soll insbesondere Radler, welche die Fahrt auf dem stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen meiden, eine attraktive Alternative bieten.