Auf einem Smartphone sind pornografische Bilder zu sehen (gestellte Aufnahme). Foto: dpa/Silas Stein

Pornosucht ist ein Tabuthema. Forscher wollen nun die Behandlung für Betroffene verbessern. Kann das klappen? Und: Macht Pornografie blöd? Bedroht der virtuelle Sex die Gesundheit? Führt exzessiver Porno-Konsum zur Verrohung? Fragen und Antworten zu einem immer aktuellen und kontrovers diskutierten Thema.

„Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“, ist der Titel einer Filmsatire von US-Regisseur Woody Allenaus dem Jahr 1972. In acht Episoden werden so existenzielle Lebensfragen wie die Wirkung von Aphrodisiaka beim Sex, der Kick bei Sodomie, Homosexualität von Transvestiten oder das Geheimnis des weiblichen Orgasmus thematisiert.

Wer heute was über Sex wissen will, geht ins Internet. Ein Klick – und schon ist man im Netz der nackten Tatsachen, von denen niemand spricht und die doch die meisten (Männer) aus eigener Anschauung lustvoll kennen.

Pornosucht: Ein Betroffener erzählt

„Mit 13 Jahren habe ich das erste Mal Pornos gesehen“, erinnert sich Niklas, der in Wirklichkeit anders heißt. Mit der Pubertät schaut er immer mehr. Dann kam die Corona-Pandemie – und sein Pornokonsum „explodierte“.

„Von 2020 bis 2021 waren es bestimmt drei bis sechs Stunden am Tag. Es können auch gut mal acht Stunden gewesen sein, so genau weiß ich das nicht mehr.“ Der heute 25-Jährige beschloss, sich Hilfe zu suchen.

Weit verbreitet: Pornografie-Nutzungsstörung

Seine Geschichte ist kein Einzelfall. „Rund drei Prozent der volljährigen Männer in Deutschland haben eine Pornografie-Nutzungsstörung“, sagt Rudolf Stark, Professor für Psychotherapie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Etwa ein Prozent der Frauen sei von der sogenannten Pornosucht betroffen. „Studien zeigen, dass Frauen deutlich weniger Pornografie konsumieren. Damit ist für sie auch die Gefahr geringer, in eine Suchtspirale einzumünden.“

Dass Betroffene wie Niklas professionelle Hilfe bekommen können, sei noch nicht selbstverständlich, betont Stark. Er forscht seit mehr als 15 Jahren zu Pornografie-Konsum. „Bis jetzt ist die Versorgung sehr schlecht. Da die Störung erst vor kurzem offiziell anerkannt wurde, sind viele Psychotherapeuten darauf noch nicht gut vorbereitet.“

PornLoS: Therapie der zwanghaft-sexuellen Impulskontroll-Störung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedete im Mai 2019 die sogenannte internationale Klassifikation von Erkrankungen (ICD-11), in der zwanghafte sexuelle Störungen als Impulskontrollstörungen aufgenommen sind.

„Das war ein wahnsinnig wichtiger Schritt“, unterstreicht Stark. Die offizielle Anerkennung als Sucht fehle noch. Doch die Klassifikation biete eine Grundlage für gezieltere Forschung und damit auch die Voraussetzung für bessere Therapiemöglichkeiten.

Das ist auch das Ziel des Projekts „PornLoS“, das Stark seit Juli 2023 an der Gießener Universität leitet. Der Titel steht für: Pornografie-Nutzungsstörung effektiv behandeln – Leben ohne Suchtdruck. „Wir wollen neue Ansätze erproben und Schlüsse für weitere Behandlungsmethoden ziehen“, erklärt der Projektleiter. „Dafür schulen wir derzeit noch Therapeuten und suchen Teilnehmer.“ Mit Beginn des nächsten Jahres werden dann rund 300 Patienten in die Studie aufgenommen.

„PornLoS“ läuft demnach zunächst an acht Standorten in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Bei Erfolg werde die neue Behandlungsform bundesweit in die Regelversorgung übernommen.

Der Beginn: Belohnungsreize und Suchtverhalten

Die Münchner Paar- und Sexualtherapeutin Heike Melzer erklärt, wie sich die sogenannte Pornosucht entwickeln kann: „Meist fängt es ganz harmlos an.“ Viele, die später ein problematisches Verhalten zeigen, fliehen laut Melzer vor negativen Gefühlen, um sich von den Pornos gezielt einen Belohnungsreiz abzuholen, wann immer sie ihn brauchen. Am Anfang fühle sich die Belohnung auch noch sehr gut an, berichtet Melzer. „Doch mit der Zeit entwickelt man eine Toleranz. Dann muss der Süchtige mehr machen, mehr Zeit investieren.“

Im Endstadium komme es zum Kontrollverlust, so die Therapeutin. Einer ihrer Patienten sei durch kostenpflichtige Live-Sex-Streams, die er während seiner Arbeitszeit schaute, an finanzielle Grenzen geraten. Ein anderer schaue 40 Stunden pro Woche pornografische Inhalte. Heike Melzer: „Da bleibt nicht mehr viel Zeit für Freunde, Hobbys und Beruf.“ Das Aufhören gelinge nicht, die Scham sei groß.

Der Verlauf: Kontrollverlust, Abstumpfung, Isolation

Nach einiger Zeit mit hohem Konsum würden die Pornoschauer zudem abstumpfen. Der Grund dafür sei an erster Stelle im Kopf zu finden: „Dopamin ist die Währung unseres Belohnungssystem im Gehirn“ erläutert die Therapeutin.

Je häufiger sich jemand einen „Kick“ verschaffe, desto schneller schwinde der Wert. Die Belohnung falle immer kleiner aus – wie beispielsweise bei der Nikotinsucht. „Das heißt, wir brauchen immer stärkere Reize“, folgert Heike Melzer. Das beeinflusse die körpereigene Regulation des sogenannten Glückshormons. „Dadurch gerät man in eine Disbalance, die man nur schwer wieder rückgängig machen kann.“

Die Erfahrung hat auch Niklas gemacht. „Die Inhalte, die ich geschaut habe, wurden härter, teils auch gewaltsamer.“ Auch die Beziehung zu seiner Freundin litt darunter. „Sie wusste davon, aber nicht in dem Ausmaß“, sagt er. Die Probleme seien jedoch kaum zu verstecken gewesen. Ihn schränkten eine Erektionsstörung und Unlust ein. Letztendlich trennten sie sich.

Die Folgen: sexuelle Funktionsstörungen

Ein hoher Porno-Konsum führt laut Melzer häufig zu sexuellen Funktionsstörungen - nicht nur bei Männern. „Wer fünfmal am Tag Pornos schaut und sich dabei einen Vibrator auf die Vulva hält, der reagiert nicht mehr auf einen unmotorisierten Penis.“

Betroffene in Beziehungen entwickeln laut Melzer häufig eine partnerbezogene Lustlosigkeit. „Sie wirken auf den Partner, als hätten sie kein Interesse an Sex, als wären sie asexuell“, erklärt Melzer. „Dabei sind sie vielmehr hypersexuell und verstecken es aus Scham.“

Die Hilfe: langwierige Psycho- und Suchttherapie

Wer vermutet, dass sein Partner betroffen sein könnte, sollte sich informieren und die Sorgen teilen, empfiehlt die Therapeutin. Es sei üblich, dass der Partner zunächst alles abstreite. „Patienten mit süchtigen und zwanghaften Verhaltensweise verschleiern oftmals ihr Verhalten, spalten es ab und greifen die Person an, die es anspricht“, sagt sie. Auch für Angehörige von Pornosüchtigen gebe es Selbsthilfegruppen. Den Betroffenen rate sie, sich professionelle Hilfe zu suchen.

„Die Therapie hat mir enorm geholfen“, betont Niklas. Sein Porno-Konsum sei stark zurückgegangen, das Studium hat er abgeschlossen. Doch mit der Unlust kämpfe er weiterhin. Mit den Folgen der Sucht klarzukommen, seit stetige Arbeit.

Info: Die Porno-Industrie

Nackt im Netz
Pornografie im Netz ist eine Multi-Milliarden-Industrie. Nach Schätzungen von Marktforschern belaufen sich die Umsätze mit Internet-Pornos allein in Deutschland auf jährlich mehrere Milliarden Euro. Weltweit dürften es mehr als 100 Milliarden Euro sein. Das Geschäft lohnt sich exorbitant. Nach Angaben des britischen Marktforschungsunternehmens SimiliarWeb kommen Webseiten mit pornografischen Inhalten wie „XVideos“, „xhamster“, „Pornhub“ oder „xhamster“ auf jeweils hunderte Millionen von Klicks – pro Woche.

„Appetit-Filmchen“
Das Verkaufsprinzip der Porno-Macher ist so simpel wie erfolgreich: Kostenlose „Appetit-Filmchen“ in oft mieser Bildqualität sollen Nutzerauf den Geschmack bringen und Lust auf mehr wecken, so dass sie einen Vertrag für Premium-Angebote abschließen. Für den erhalten die Website-Betreiber eine Prämie. Da allerdings mehr als 90 Prozent der Clips und Filme im Netz gratis zugänglich sind und der Umsatz deswegen in den vergangenen Jahren stark rückläufig ist, ist die Branche vor allem auf Werbeeinnahmen angewiesen.