Kanzler Paul Lidle und Außenministerin Pia Vorderwinkler stellen sich live den Fragen des Schillertalks. Foto: Werner Kuhnle

Für vier Tage verwandelt sich das Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium in einen Staat – das „Schillerreich“. Hier sollen die Schüler politische und wirtschaftliche Realität hautnah erleben.

Pia Vorderwinkler hat viel zu tun in diesen Tagen. Immer wieder empfängt sie Ehrengäste wie die Landtagsabgeordneten Tobias Vogt und Tayfun Tok. Daneben stehen Interviews beim „Schillerradio“ und verschiedene Ehrungen an und auch in Kabinettstreffen und Parlamentssitzung ist die 19-Jährige unabkömmlich. Der Terminkalender ist randvoll, wie das eben ist im Leben einer Außenministerin. Denn dieses Amt bekleidet die Zwölftklässlerin im „Schillerreich“, dem Staat, in den sich das Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium in dieser Woche verwandelt.

Alle Schüler und Lehrkräfte sind Staatsbürger

Rein formell ist das Schillerreich natürlich ein fiktiver Staat, ein schulweit angelegtes Experiment. Er existiert seit Montag und schon am Freitag wird es ihn nicht mehr geben. Die politischen und wirtschaftlichen Mechanismen sind allerdings die gleichen wie in einer normalen Republik.

Staatsbürger sind alle Schüler und Lehrkräfte, es gibt Kanzler und Präsident sowie ein Parlament mit 25 Abgeordneten aus sieben Parteien, die Anfang des Jahres alle demokratisch gewählt wurden.

Statt die Schulbank zu drücken, können die Staatsbürger in dieser Woche politisch mitwirken, eigene Unternehmen gründen oder in bereits gegründeten arbeiten. „Wir wollen gelebte wirtschaftliche und politische Realität an die Schule holen“, erklärt FSG-Schulleiter Volker Müller. Das Parlament ist bereits seit einem halben Jahr im Einsatz und hat nach und nach Verfassung und Gesetze verabschiedet. „Es ist spannend zu sehen, was in einer Demokratie hinter den Kulissen abgeht“, sagt Außenministerin Vorderwinkler, die wie alle Kabinettsmitglieder auch über ihr Amt hinaus überall hilft, wo es im Staat hakt.

„Am ersten Tag hatten wir kleinere Probleme“, erklärt sie. Weil alle Unternehmen fleißig die Steckdosen nutzten, klappte das Netz zusammen und es gab einen Stromausfall. Zudem musste das Kartellrecht verschärft werden, weil ein Unternehmer begonnen hatte, seine Konkurrenten aufzukaufen. Am Dienstag sehen die Abläufe schon deutlich flüssiger aus, „wir sind jetzt ein richtiger Staat, der super funktioniert“, sagt die Ministerin.

Erleichtert über den Start ist auch Staatspräsident Yannic Flad: „So gut hätten wir es uns nicht erwartet.“ Der Zwölftklässler steckt seit zwei Jahren in der Planung für das Projekt, an den vier Tagen ist er voll eingespannt. Jeden Morgen begrüßt er seine Bürger mit einer Rede, auch an allen Sitzungen nimmt er teil, kein Empfang findet ohne ihn statt. Bis 0 Uhr war er am Montagabend an der Schule, am Dienstagmorgen um fünf ist er bereits wieder da. „Ich übernachte extra in der Nähe, damit ich nicht so einen langen Heimweg habe“, sagt Flad.

Im Schulhaus laufen überall Schüler durch die Gänge und machen mit Plakaten, Flyern oder Kostproben Werbung für ihre Unternehmen. Die sind in den einzelnen Klassenzimmern und auf dem Schulhof angesiedelt, neben zahlreichen Gastronomie-Betrieben gibt es beispielsweise mehrere Haarsalons, zwei Heiratsagenturen, eine Spielhalle oder einen Escape-Room. Zwischendurch sind immer wieder Menschen in grünen Westen zu sehen, auf deren Rücken „Schillerando“ steht.

Angelehnt an den Essenslieferdienst „Lieferando“ können sich die Gastronomen des Schillerreichs auf einer Website ein Unternehmensprofil anlegen und dort ihre Gerichte anbieten. Die bestellte Ware liefern den Kunden dann die Schillerando-Mitarbeiter an den gewünschten Lieferort. Die Idee dazu hatte Felix Haag, der auch die unglaublich professionell aussehende Website selbst programmiert hat. 300 Arbeitsstunden hat der Zwölftklässler dafür investiert. „Programmieren ist mein Hobby“, erklärt er. „Und ich lerne für die Zukunft wie es ist, ein eigenes Unternehmen zu haben.“

Bezahlt wird im Schillerreich mit „Schillies“, zehn davon entsprechen einem Euro. Ihr erwirtschaftetes Geld dürfen die Unternehmer behalten und am Donnerstag bei der Staatsbank in Euros tauschen. Dann endet das Projekt und aus den Unternehmern und Politikern werden wieder Schüler und Lehrer. Auch Pia Vorderwinkler legt ihr Amt als Außenministerin dann ab. Von dem Experiment an ihrer Schule ist sie schon jetzt begeistert: „Am Ende wird jeder hier seine eigene Geschichte des Projekts erzählen können.“

Ein Visum kostet drei Euro

Schillerreich
 Das Schillerreich im Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach öffnet am Mittwoch, 25. und Donnerstag, 26. Oktober, jeweils von 7.45 bis 17.15 Uhr für Besucher. Zur Einreise ist ein Visum nötig, das drei Euro kostet und vor Ort bezahlt werden kann.