Darstellung der erregenden (pyramidalen) Neuronen in einem Teil der Gehirnprobe. Das pyramidale System steuert beim Menschen (und allen Säugetieren) die Motorik, also sämtliche willkürliche und einen Teil der unwillkürlich ablaufenden Bewegunge. Foto: Google Research & Lichtman Lab/Harvard University/Renderings by D. Berger/Harvard University/dpa

Das menschliche Gehirn ist hochkomplex. US-Forscher haben nun zum ersten Mal die darin befindlichen Strukturen dargestellt. Das aufwendige 3D-Modell kann im Internet kostenlos angeschaut werden.

Auf Basis eines echten Hirnfragments eines Menschen haben US-Forscher ein sehr detailliertes 3D-Computermodell von Teilen der Großhirnrinde erzeugt.

Der rekonstruierte Bereich ist dabei nur einen Kubikmillimeter groß, wie das Team um Alexander Shapson-Coe vom Center for Brain Science der Universität Harvard in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) im Fachblatt „Science“ schreibt. Aufgrund der enormen Komplexität unseres Gehirns finden sich aber schon in diesem winzigen Ausschnitt Dutzende Millionen einzelner Strukturen.

Gehirn ist hochkomplexes Gewebe

Das Modell beinhaltet 57 000 Zellen, darunter rund 16 000 Neuronen, 23 Zentimeter an Blutgefäßen und 150 Millionen Synapsen, wie Shapson-Coe und sein Team berichten.

Auch sogenannte Gliazellen, die unter anderem Stütz- und Versorgungsaufgaben im Nervengewebe übernehmen, sind zu sehen. Zudem kann man Myelin, die isolierende Schicht um die Fortsätze der Nervenzellen, erkennen.

Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste Organ, das die Natur je hervorgebracht hat: 100 Milliarden Nervenzellen und ein Vielfaches davon an Kontaktpunkten verleihen ihm Fähigkeiten, an die kein Supercomputer bis heute heranreicht. Foto: Imago//Panthermedia

Solche detaillierten Aufnahmen des Gehirns – einschließlich von Neuronen, also Nervenzellen, und deren Verknüpfungen – sind wichtig, um die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen.

„Das menschliche Gehirn ist ein äußerst kompliziertes Gewebe. Bislang ist aber nur wenig über seine zelluläre Mikrostruktur, wie beispielsweise die synaptischen Schaltkreise, bekannt“, schreiben die Wissenschaftler. Unterbrechungen dieser Schaltkreise seien wahrscheinlich mit verschiedenen Erkrankungen des Gehirns verbunden.

Winziges Stück der Großhirnrinde einer 45-Jährigen als Vorlage

Als Vorlage für das Modell diente ein winziges Stück des sogenannten Temporallappens der Großhirnrinde (der sogenannte Cortex cerebri) eines lebenden Menschen. Hirnchirurgen hatten das Fragment einer 45-jährigen Frau entnommen, um bei einer operativen Behandlung von Epilepsie Zugang zu einem bestimmten Bereich im Hippocampus zu bekommen. Das entnommene Fragment würde rein rechnerisch 1000 Mal in einen Würfel mit einem Zentimeter Seitenlänge passen.

Mithilfe von Elektronenmikroskopie durchleuchteten die Hirnforscher das Fragment Schicht für Schicht. Dabei entstanden 1400 Terabyte an Daten. Daraus konstruierte die Forschungsgruppe dann das dreidimensionale Computermodell. Es ist im Internet frei zugänglich, auch interessierte Laien können sich also mit etwas Übung durchs Gehirn scrollen.

Hier kommen Sie zur Webseite mit den 3D-Darstellungen des menschlichen Gehirns.

Gehirnatlas ist „Beginn einer neuen Ära in der Hirnforschung“

Die Forscher haben mit ihrem 3D-Modell schon erste Erkenntnisse erlangt. So zählten sie im abgebildeten Bereich doppelt so viele Glia- wie Nervenzellen.

Das menschliche Gehirn besteht bei einer Masse von anderthalb Kilogramm aus fast neunzig Milliarden Nervenzellen (im Bild zu sehen) und ähnlich vielen Gliazellen. Foto: Imago/Depositphotos

Der am häufigsten vorkommende Zelltyp seien sogenannte Oligodendrozyten. Diese Zellen gehören zu den Gliazellen (Gliazellen geben dem Nervengewebe Halt und stützen es), umgeben die sogenannten Axone von Nervenzellen – also die Fortsätze der Nervenzellen, die für die Weiterleitung von elektrischen Signalen zuständig sind – und bilden dort die isolierende Myelinschicht. Sie umgibt die Nervenzellfortsätze (Axone) von bestimmten Nerven. Ihre Aufgabe ist es, die Geschwindigkeit der elektrischen Erregungsleitung zu erhöhen.

Die Forscher hoffen, dass auch andere Wissenschaftler das neue Hirnmodell nutzen. „Weitere Studien mit dieser Anwendung könnten wertvolle Einblicke in die Geheimnisse des menschlichen Gehirns bringen.“ Zwar steckten die Bemühungen, Daten zur Konnektivität neuronaler Schaltkreise zu verstehen, noch in den Kinderschuhen. „Aber dieser Petabyte-Datensatz ist ein Anfang.“