Einer der Protagonisten des Films, Arnaud, beschließt, ein Foto seines verletzten Gesichts in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen – Szene aus „Hass gegen queer“. Foto: WDR/Doclights/Dunja Engelbrecht

Der bedrückende ARD-Dokumentarfilm „Hass gegen queer“ gibt Menschen eine Bühne, die Opfer von Beleidigungen oder körperlichen Angriffen wurden, weil sie homosexuell oder trans sind.

„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“: Der gleichnamige Film von Rosa von Praunheim ist bereits über fünfzig Jahre alt, doch der Titel hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Tatsächlich hat sich die Situation aus Sicht der Betroffenen sogar deutlich verschlechtert: Früher fanden die reaktionären Stimmen nur im kleinen Kreis Gehör, heute haben die Stammtische Hunderttausende Mitglieder. Aus Worten werden irgendwann Taten, und die treffen all’ jene, die sich nicht länger verstecken wollen. In „Hass gegen Queer“ beschreiben sie, wie sich das anfühlt, wenn man immer wieder Beleidigungen, Demütigungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt ist.

Die Leidtragenden stehen ganz im Mittelpunkt

Mutig konzentriert sich Tristan Ferland Milewski nahezu ausschließlich auf Menschen, die schwul, lesbisch oder trans sind. Das unterscheidet seinen Film von herkömmlichen TV-Dokumentationen, in denen stets Fachleute die Welt erklären. Hier sprechen nur die Leidtragenden. Ihre Geschichten sind erschütternd und beschämend: weil sie offenbaren, dass sich selbst im Westen der Republik trotz fast 75 Jahren Freiheit und Demokratie offenbar nicht viel geändert hat. Mehrfach schildern Milewskis Gäste, wie sie am helllichten Tag drangsaliert oder überfallen wurden, ohne dass die Umstehenden auch nur die Polizei alarmiert hätten.

Solche Vorfälle sind jedoch nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Nicht minder folgenreich sind die kleinen und oft unbewussten Diskriminierungen im Alltag, wie sie auch jene erfahren, die eine andere Hautfarbe haben. Selbst beiläufige Bemerkungen, die von Verständnis zeugen sollen, haben oft eine ganz andere Botschaft: „Eigentlich gehörst du nicht dazu.“

Filmisch ist „Hass gegen Queer“ extrem reduziert. Milewski streut zwar immer wieder Ausschnitte aus Nachrichtensendungen ein, aber ansonsten gehört die Bühne jenen, die regelmäßig zum Ziel von Hass und Hetze werden, allen voran die grüne Abgeordnete Tessa Ganderer, die sogar im Bundestag angefeindet wird. Sie ist eine Galionsfigur, weil sie sich nicht in die Opferschublade stecken lassen will. Die Erzählungen der anderen sind dagegen größtenteils bedrückend, denn die Diskriminierungen beginnen oft schon in der eigenen Familie; bei einigen ist der Kontakt zu den Eltern komplett abgebrochen. So etwas wie die Stars des Films sind die Aktivistin Barbie Breakout und ihre Kollegin Miss Ivanka T. Die beiden Dragqueens sind echte Hingucker, auch sie erleben Anfeindungen.

Es reicht nicht, nur eine Regenbogenfahne zu hissen

Bei allem Respekt für die Entscheidung, den Film einzig und allein den Betroffenen zu widmen: Durch den konsequenten Verzicht auf Stimmen, die den Erzählungen einen Rahmen geben, bleiben viele Fragen offen, etwa, was Gesellschaft und Politik tun können, um für mehr Toleranz zu werben; es genügt offenkundig nicht, zu bestimmten Anlässen eine Regenbogenfahne zu hissen. Und wes Geistes Kind sind die Täter, was treibt sie um, woher rührt ihr Hass? Tatsache ist jedenfalls, dass niemandem geholfen ist, wenn auch eine Partei der bürgerlichen Mitte rechtspopulistische „Fake News“-Legenden verbreitet.

Im TV: „Hass gegen queer“ wird am 19. Juli ausgestrahlt, ARD, 22.50 Uhr