Wolodymyr Selenskyj wirbt bei einem Treffen in Spanien für mehr Solidarität der EU mit der Ukraine, doch die Unterstützung bröckelt. Foto: dpa/Kay Nietfeld

In Europa sind Freiheit und Demokratie bedroht. Um sie zu verteidigen, muss sich die EU reformieren, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Europa droht eine Reise zurück in seine dunkelste Vergangenheit. Russland hat mit dem Überfall auf die Ukraine den Krieg zurück auf den Kontinent gebracht und zerstört das Fundament des europäischen Wohlstandes. Bestürzend ist, dass dieser chauvinistische Imperialismus längst auch andere Staaten ergreift. Aserbaidschanische Truppen vertreiben armenische Zivilisten aus Bergkarabach und Serbien zündelt im Kosovo.

Die Europäische Union reagiert auf diese existenzielle Bedrohung des Friedens im eigenen Haus erstaunlich hilflos und zaghaft zu. Zwar wird die Ukraine mit Waffen und Hilfsgütern versorgt, doch Europas Front im Kampf gegen das russische Großmachtstreben beginnt bedrohlich zu bröckeln.

Die Zeitenwende ist in Europa angekommen

Nur langsam macht sich in der EU die Erkenntnis breit, dass die Ära der Sorglosigkeit vorüber ist. Eine Zeit des ständigen wirtschaftlichen Wachstums, in der die Probleme innerhalb der Union schlicht mit Geld zu geschüttet wurden, die Institutionen sich zunehmend mit sich selbst beschäftigten und die USA militärisch für die Sicherheit sorgten.

Die oft zitierte Zeitenwende rüttelt immer heftiger an die Tür der Europäische Union, die sich für die neue Zukunft rüsten muss. Sie wird langfristig mit Konflikten und auch instabilen Verhältnissen konfrontiert, was die Rolle der EU grundlegend verändern wird. Die wirtschaftliche Weltmacht wird zunehmend die Aufgaben einer regionalen Ordnungsmacht übernehmen müssen.

Die Ukraine muss in die EU

Im konkreten Fall der Ukraine bedeutet das, dass das Land dem Einfluss Russlands entzogen werden muss. Aus diesem Grund ist die Perspektive eines Beitritts zur Europäischen Union die richtige Entscheidung. Für Kiew aber wird es ein sehr langer und steiniger Weg. Das Land zählt zu den ärmsten und korruptesten Staaten Europas, nach den verheerenden Zerstörungen durch den Krieg wird es Jahrzehnte dauern, das zu ändern.

Das Aufnahmeversprechen an die Ukraine bedeutet gleichzeitig auch einen Zwang zu Reformen in der EU. Allein der Agrarhaushalt, der einen Großteil des gesamten EU-Budgets ausmacht, würde im Falle eines Beitritts Kiews kollabieren. Auch die anderen, sehr großen Baustellen sind seit Jahren bekannt. So ist die Erosion des Rechtsstaates vor allem in einigen osteuropäischen Staaten ein wachsendes Problem. Brüssel muss endlich Mittel und Wege finden, darauf zu reagieren, denn damit zusammen hängt auch die Legitimation der Demokratie. Überarbeitet werden muss auch das Einstimmigkeitsprinzip, denn Staaten wie Ungarn nutzen das darin liegende Erpressungspotenzial immer wieder, um ihre eigenen Interessen rücksichtslos durchzudrücken. In diesem Umbau liegt auch eine große Chance, denn eine reformierte Union wird auch eine bessere EU sein.

Die USA werden zum unsicheren Partner

Europa hat nicht mehr allzu viel Zeit, die eigene Zukunft selbst zu gestalten, auch weil alte Gewissheiten nicht mehr gelten. So werden die USA politisch, wirtschaftlich und auch militärisch zunehmend zu einem unsicheren Partner. Das zeigt sich gerade im Fall der gestoppten Unterstützung der Ukraine. Das aktuelle Chaos im Repräsentantenhaus könnte ein alarmierendes Vorzeichen für die mögliche Wiederwahl Donald Trumps sein. Selbst ein Rückzug aus der Nato scheint dann nicht mehr unmöglich.

Wolodymyr Selenskyj forderte auf dem aktuellen EU-Gipfel in Granada aus diesem Grund erneut die Solidarität der Staats- und Regierungschefs. Er verfolge den anschwellenden politischen Sturm in Amerika, sagte der ukrainische Präsident und schob einen mahnenden Satz hinterher: Europa dürfe jetzt nicht die Segel streichen und den Sturm abwarten. Die EU sollte Selenskyj beim Wort nehmen. Denn das Ende der Ukraine, würde auch das Ende des Friedens in ganz Europa bedeuten.