Wie aus der Zeit gefallen: Karin Kathmann, Vorsitzende der Venezianer. Foto: Werner Kuhnle

Wer hat sich nicht schon manchmal eine Zeitmaschine gewünscht? Doch es geht auch ohne sie – mit einer großen Portion Geschichtsinteresse und detailgenauen Kostümen.

„Das Wort ‚Verkleiden’ höre ich nicht so gern’, sagt Karin Kathmann. „Das, was wir Venezianer machen, ist viel mehr.“ Kathmann ist die Vorsitzende des vor 30 Jahren von geschichtsinteressierten Ludwigsburger Geschäftsleuten gegründeten „Vereins Venezianer Ludwigsburg Herzog Carl Eugen 1767 e.V.“, so der offizielle Titel. Er verweist darauf, dass der Verein maßgeblich daran beteiligt war, dass die venezianische Messe wieder eingeführt wurde, die Herzog Carl Eugen anno 1768 nach Ludwigsburg importiert hatte. Das Jubiläum wird am Samstag, 10. Juni im kleinen Kreis am Monrepos gefeiert. Für alle anderen, die sich in der Nähe des Schlosses aufhalten, gibt es von 15 Uhr an einen Augenschmaus: Rund um das Schloss wird flaniert – in prächtigen Gewändern, die die Barockzeit wieder lebendig werden lassen. Da dürfte sich mancher verwundert die Augen reiben und sich fragen, ob es nicht vielleicht doch Zeitmaschinen gibt.

Detailtreue ist sehr wichtig

Denn die rund 30 Venezianer legen sehr großen Wert auf Detailtreue. Das betrifft nicht nur die von Dagmar Güttinger kunstfertig geschneiderten Gewänder, die sich mit den Möglichkeiten der Moderne haarklein an der Mode zu Herzogs Zeiten orientieren, sondern auch die Tänze, die die Venezianer bei verschiedenen Gelegenheiten, oft mit einer kleinen Rahmenhandlung, aufführen. Der mittlerweile verstorbene Tanzmeister Eberhard Schauer hat dazu intensiv recherchiert und geforscht. Doch wer glaubt, es genüge, die Tanzschritte zu beherrschen und ein zeitgemäßes Kostüm samt Perücke und Hut zu tragen, der täuscht sich gewaltig.

„Auch die Haltung ist wichtig“, betont Karin Kathmann. Das spielt nicht nur bei den historischen Reihentänzen eine Rolle, wo es unangenehm auffallen würde, wenn ein Herr oder eine Dame die Schultern hängen ließe, sondern auch beim Flanieren. Selbst für die Haltung der Hände gibt es Vorschriften. Die Damen tragen entweder einen Pompadour und einen Fächer auf Hüfthöhe, beim Flanieren im Garten auch mal Körbchen und Sonnenschirm, oder die Hände ruhen sittsam auf dem Rockteil des Gewandes. Was ebenfalls gar nicht geht: sich beim Sitzen zurückzulehnen und zu lümmeln. Und beim Gehen muss man zierliche, kleine Schritte machen.

Mehr Männer im Verein wären toll

In einem Punkt müssen die Venezianer allerdings zwangsläufig von den historischen Vorbildern abweichen. Da es zu wenig männliche Vereinsmitglieder gibt, schlüpfen auch schon mal Damen in die Kniehosen und raffiniert gefältelten Justaucorps der Herren – vor allem bei den Tanzvorführungen. Das ist deshalb machbar, weil die Schritte der Herren spiegelverkehrt zu denen der Damen sind. „Viele Männer behaupten, zwei linke Füße zu haben, außerdem empfinden sie die damals auch an der Herrenkleidung üblichen zarten Spitzen als weibisch“, erklärt Karin Kathmann den Männermangel im Verein.

Neue Mitglieder sind gern gesehen, sollten sich jedoch darauf einstellen, dass die Angelegenheit nicht ganz billig ist. Denn obwohl Dagmar Güttinger ihre vielstündige Arbeitszeit fürs Kostümnähen nicht rechnet, kostet so eine Robe etwa 600 bis 700 Euro. Und es gibt Flanier- und Tanzkleider sowie an historische Vorbilder angelehnte Fantasiekostüme für die venezianische Messe. Hinzu kommen passender Schmuck und Schuhe. Im Gegenzug taucht man aber nicht nur immer wieder in eine andere Zeit ein, sondern hat bei den diversen Auftritten bei Festen und sogar im Fernsehen viele schöne Erlebnisse. Gern erinnert sich Karin Kathmann an einen Besuch am Monrepos, wo man unverhofft auf eine indische Besuchergruppe traf, bei der die Damen traditionelle Saris trugen. Da war das gegenseitige Staunen groß, und natürlich wurden auch Fotos gemacht. Auch Kinder bekommen große Augen. „Eines zupfte mich mal am Rock und fragte: ‚Bist du eine echte Prinzessin?’“, schmunzelt Kathmann. Eines allerdings mögen die Venezianer gar nicht: Wenn man sie einfach am Arm oder an der Taille packt und ein Selfie macht. Höflich fragen muss man schon. Noblesse oblige.