Eine Gruppe von etwa 100 Menschen protestiert in Ditzingen gegen die AfD. Foto: Jürgen Bach

Die Rechtsaußen-Partei hat in der Stadthalle in Ditzingen einen „Bürgerdialog“, wie sie ihre Veranstaltung nennt, abgehalten. Vier Abgeordnete des Bundestags haben vor spärlich besetzten Stuhlreihen gesprochen – während draußen Demonstranten lautstark ihren Unmut äußerten.

Die Veranstaltung ist laut, bunt, eindeutig, dennoch verläuft sie ohne Zwischenfälle für die Polizei: Rund 100 Menschen zeigen bei einer Kundgebung ihren Widerwillen gegen den „Bürgerdialog“, wie die AfD ihre politische Veranstaltung in der Stadthalle nennt. Mit Bannern und Fahnen in den Händen rufen sie „Nazis raus“ oder „Ganz Bawü hasst die AfD“. Derweil bereiten sich gegenüber, hinter den Zäunen, die die Polizei zur räumlichen Trennung der zwei Seiten aufgestellt hat, vier Bundestagsabgeordnete der Rechtsaußen-Partei auf ihre Auftritte vor: Martin Hess, unter anderem Vorsitzender des Kreisverbands Ludwigsburg, Markus Frohnmaier, auch Co-Vorsitzender des AfD-Landesverbands, Nicole Höchst und Jan Nolte.

Die Gegendemo hat das Demokratische Zentrum Ludwigsburg, kurz Demoz, mit verschiedenen Gruppen wie dem Campus for Future Ludwigsburg, Aufstehen gegen Rassismus Stuttgart, den Jusos Ludwigsburg, dem DGB Nordwürttemberg und Queerfem von der PH Ludwigsburg organisiert. „Wir haben keine Lust, dass die AfD unwidersprochen Inhalte verbreitet, die viele Menschen negativ betrifft und wahnsinnig gefährdet“, sagt Lisa. Die 34-Jährige meint damit Frauenfeindlichkeit oder Angriffe auf queere Menschen. Lisa freut sich, dass Menschen aller Art, jüngere und ältere, an der Gegendemo am Samstag teilnehmen. Die junge Frau ist überzeugt: Dass sich diese Vielfalt zusammentue, sei essenziell für den Kampf gegen rechts.

AfD hat die CDU im Visier

Die AfD ist im Aufwind, und das besorgt die Redner draußen. Laut Umfragen kommt die Partei im Bund auf bis zu 20 Prozent; in Thüringen würden sie sogar 34 Prozent der Befragten wählen. Die AfD sitzt längst auch in Landtagen, regiert in Kreisen und Kommunen: Thüringen hat jetzt den ersten AfD-Landrat, Sachsen-Anhalt einen AfD-Bürgermeister. Der hiesige AfD-Landtagsfraktionschef Anton Baron möchte nach der nächsten Wahl nach Möglichkeit mit der CDU zusammenarbeiten.

Ein Vertreter von Aufstehen gegen Rassismus, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt, die AfD sei „keine Protestpartei, die einfach so wieder verschwindet.“ Vielmehr „stehen wir vor der Gefahr eines Dammbruchs und der Gefahr, dass immer mehr Konservative sich eine Zusammenarbeit mit der AfD – ähnlich wie in Österreich mit der FPÖ – vorstellen können“. Der Mann im roten T-Shirt sieht mehrere Gründe für den „Aufstieg der Faschisten“. So sei es „mehr als wichtig, gegen die Angriffe auf unseren Lebensstandard zu kämpfen“, sagt der Redner mit Blick auf hohe Lebenshaltungskosten oder niedrige Löhne. Doch die Kanalisierung bestimmter sozialer Fragen in Richtung Rassismus sei es, was die Nazis um Björn Höcke und seine Parteifreunde stark mache: „Antirassismus und soziale Frage gehören zusammengedacht.“

Erinnerungen an vor drei Jahren

Neben Ditzinger Stadträten unterstützt die örtliche SPD die Kundgebung. „Wir setzen ein Zeichen. Ditzingen ist es nicht egal, wenn die AfD hier ist“, sagt der Ortsvereinsvorsitzende Jürgen Weingarte. Zumal die Partei nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Auch Genossen aus der Nachbarschaft sind da. Wie Wolfgang Stehmer, unter anderem langjähriger Gemeinderat in Hemmingen. Für ihn steht Solidarität auch deshalb außer Frage, weil Ditzinger SPDler vor fast drei Jahren an seiner Seite waren, als ein AfD-Bürgerdialog samt Gegendemo in und vor der Gemeinschaftshalle stattfanden. „Es gibt eine stabile rechte Ecke“, stellt er fest. Die AfD schleiche sich in die Gesellschaft ein. Der Vaihinger SPD-Fraktionsvorsitzende Eberhard Berg sagt, er hoffe, dass niemals eine charismatische Figur die AfD anführe.

Bürgermeister fürchtet um den Ruf der Stadt

Am Rande der Veranstaltung hält sich der Ditzinger Bürgermeister Ulrich Bahmer (CDU) auf. Auch ihm stößt die Veranstaltung der AfD sauer auf, er fürchtet um den Ruf der Stadt. Es sei ja nun überall bekannt, „dass die da waren“. Doch laut einem Gemeinderatsbeschluss darf jede Partei mit Ortsverein die Stadthalle nutzen. Den AfD-Ortsverband Ditzingen/Gerlingen gibt es seit Herbst 2020. Ulrich Bahmer berichtet, er habe keine bekannten Gesichter aus Ditzingen in die Stadthalle gehen sehen.

Dort stehen 400 Stühle bereit, von denen geschätzt mehr als die Hälfte leer bleiben. Die, die drinnen zuhören – Jüngere, Ältere –, ruft der AfD-Kreisvorsitzende Martin Hess dazu auf, sich ein eigenes Bild von der AfD zu machen. Die nach den Worten des Polizeibeamten einzige Partei, die Klartext rede, an der Realität und an den Bedürfnissen der Bürger dran sei und erkenne, dass in Deutschland „Freiheit, Wohlstand, Gerechtigkeit und Sicherheit vernichtet werden“.

Es sind Appelle an die Gäste zu hören, an das zu denken, was sie scheinbar täglich selbst mitbekämen – nämlich, dass Deutschland nicht so sicher sei, wie das die Innenministerin behaupte, sondern dass die größte Gefahr der Islamismus sei. Die AfD, die sich laut Hess als Korrektiv sieht, werde „so lange weitermachen, bis wir Regierungsverantwortung haben“.

„Grenzen des Sagbaren massiv verrückt“

Das mag sich Lisa vom Demoz nicht ausmalen. „Die AfD hat die Grenzen des Sagbaren massiv verrückt“, meint sie. Die Hemmschwelle in der Bevölkerung sei gesunken, etwa weil die CDU populistische Aussagen tätige, die auch von der AfD kämen. „Das bekräftigt die Bürger, dass es nicht so schlimm sein kann.“ Sie hoffe aber, der Höhenflug der AfD sei ein Weckruf für die anderen Parteien, „Gegenposition zu beziehen und endlich Politik für die Menschen zu machen.“