Seit drei Wochen ist Chinas Spitzendiplomat Qin Gang von der öffentlichen Bildfläche verschwunden. Die Gerüchteküche brodelt.
Als Qin Gang Ende Juni den russischen Vizeaußenminister Andrej Rudenko empfing, stolzierte er noch betont gelassen durch das Pekinger Regierungsviertel. Seither jedoch wurde der 57-Jährige nicht mehr gesehen. Chinas Außenminister: seit mehr als drei Wochen spurlos verschwunden. Dabei tanzte er zuvor nahezu täglich auf praktisch allen diplomatischen Hochzeiten.
Doch plötzlich erschien Qin selbst zu wichtigen Pflichtterminen nicht mehr. Ein geplantes Treffen mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte die chinesische Seite ohne Begründung in letzter Sekunde ab. Auch am ASEAN-Treffen vergangene Woche in Indonesien nahm der Spitzendiplomat nicht teil. „Aus gesundheitlichen Gründen“, hieß es damals von einem Sprecher des Außenministeriums.
Die Gerüchteküche auf chinesischsprachigen sozialen Medien läuft seither heiß. Nach etlichen Hinweisen hat sich vor allem eine pikante Theorie durchgesetzt: Qin Gang habe eine Affäre, ja, möglicherweise ein außereheliches Kind, heißt es. Und nun werde er dafür diszipliniert. Befeuert wird die Theorie durch die Postings einer Hongkonger Fernsehreporterin, die den chinesischen Außenminister während seiner damaligen Zeit als Botschafter in Washington interviewt hat. Auf ihrem Twitter-Account postete sie, nach einem Jahr Online-Abstinenz, eine kryptische Botschaft mit mehreren Fotos – eine Aufnahme mit Qin Gang, eine andere mit ihrem neugeborenen Sohn.
„Ich habe keine Informationen anzubieten.“
„Brotkrümel überall“, kommentierte die chinesische Demokratieaktivistin Yaxue Cao, die mittlerweile in den USA lebt. Ihre Aussage spielt auf das sogenannte „Breadcrumbing“ an – ein Konzept, bei dem jemand einem Ex-Liebespartner romantische, jedoch für Drittpersonen kaum eindeutig zu erkennende Anspielungen aussendet.
Während die meisten Spekulationen in China zensiert werden, haben es die Gerüchte in Taiwan bis in die Abendnachrichten geschafft. Das hat auch mit der erstaunlichen öffentlichen Reaktion zu tun. Erst am Montag hakte nämlich ein Reporter der „Financial Times“ bei der täglichen Pressekonferenz des Außenministeriums in Peking nach. Er fragte explizit, ob Qin Gangs Abstinenz mit den Gerüchten um eine außereheliche Affäre zusammenhängen könnte. Anstatt die Aussage konkret abzustreiten, entgegnete Sprecherin Mao Ning trocken: „Ich habe keine Informationen anzubieten.“
Natürlich hat auch ein Politiker das Anrecht auf sein Privatleben. Doch bei der Causa Qin Gang geht es im Kern um etwas ganz anderes: Dass ein zunehmend intransparentes und repressives System immer wieder öffentliche Personen einfach verschwinden lässt – und die Öffentlichkeit nur spekulieren kann. Das betrifft Geschäftsleute gleichermaßen wie Politiker oder Stars aus der Unterhaltungsbranche. Der chinesische Leiter von Interpol Meng Hongwei wurde etwa 2018 festgenommen, als er sich für einen Kurzbesuch in China aufhielt. Damals erfuhr die Öffentlichkeit zumindest Monate später die Hintergründe – dass es sich nämlich um einen mutmaßlichen Korruptionsfall handelte. Bei der Tennisspielerin Peng Shuai, die in einem zensierten Online-Posting einen hochrangigen Parteikader des sexuellen Übergriffs bezichtigte, hat die Öffentlichkeit niemals die wahren Hintergründe ihrer Abwesenheit erfahren. Dass sie später bei offensichtlich inszenierten Auftritten beteuerte, dass alles in Ordnung sei, feuerte die Spekulationen nur weiter an. Selbst Jack Ma, immerhin der einst reichste Chinese, verschwand Ende 2020 nach einer kritischen Rede monatelang von der öffentlichen Bildfläche. Von seiner Firma Alibaba hieß es vage, dass er eben gerne reise.
Auch bei Qin Gang wird sicher schon bald eine offizielle Erklärung nachgereicht werden. Inwiefern diese stimmt, lässt sich in einem politischen System ohne unabhängige Medien und Transparenz kaum abschätzen. So gedeihen Gerüchte und Theorien. In einem Posting mahnte ein User, dass man nicht weiter spekulieren solle, Hinter Qins Abwesenheit stünde doch nur eine leichte Grippe, schon bald sei diese auskuriert. Auch das wurde von den Zensoren gelöscht.