Grünen-Politiker Cem Özdemir war am Sonntagabend Gast bei der Sendung Anne Will. Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

Cem Özdemir hat in der ARD-Sendung Anne Will am Sonntagabend deutliche Kritik an gewissen muslimischen Verbänden geübt. Sein Statement sorgte für viel Gesprächsstoff in der Runde.

Wenn es im Nahen Osten dermaßen brennt, kann Anne Will nicht nur über das gesetzte Thema - die politische Verrohung der Landtagswahlkämpfe in Bayern und Hessen – sprechen. Das war in ihrer Talkrunde am Sonntagabend schon klar. Eine gute Viertelstunde am Ende der Sendung – hochspannend - war für Israel reserviert. Aber der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir haute schon früher ein Statement raus, dass die Studiorunde nachhaltig erbeben ließ. Er bezog sich auf die Bildern von feiernden Hamas-Sympathisanten in Berlin-Neukölln: „Diese Bilder von Neukölln dürfen sich nicht wiederholen, sonst verlieren wir noch mehr Stimmen an die AfD. Wir müssen die Samthandschuhe bei muslimischen Verbänden auch mal weglassen“, sagte Özdemir, der türkische Wurzeln hat. „Ab Montag“ müsse man mit den Verbänden einen anderen Umgang pflegen, kündigte Özdemir an, und er fordere die größte Oppositionsfraktion im Bundestag auf, da mitzumachen. Mit einer „unbeschreiblichen Naivität“, so der Minister später, hätten alle Parteien in den Bundesländern Staatsverträge mit gewissen muslimischen Verbänden schließen wollen, obwohl „die uns hier den Mittelfinger zeigen“, während dessen lasse man moderate Verbände im Stich. „Ich sage das seit Jahren, aber es hört ja keiner auf mich“, so Özdemir.

Aufregung um Özdemir-Zitat

Der stellvertretenden „Welt“-Chefredakteur Robin Alexander glaubte kaum, richtig gehört zu haben: die Aussage von Özdemir könne man ja Gottseidank „zurückspulen“: „Die Samthandschuhe bei Islamverbänden einpacken? Wenn ein Unionspolitiker das gesagt hätte, da wäre aber was los!“ Zum Hamas-Israel-Konflikt herrschte ansonsten in der Runde Konsens. Alexander rechnete es der Ampel-Regierung hoch an, dass sie sich rasch an Israels Seite gestellt habe, das sei in „einer guten deutschen Tradition“. Die CDU-Politikerin Karin Prien - Sprecherin des Jüdischen Forums in der CDU – stellte die Zahlungen von Hilfsgeldern für die Palästinensern in Frage, die müssten überprüft werden: „Wir können doch nicht auch den Hass bei palästinensischen Kindern fördern.“ Videos, auf denen Kinder auf von der Hamas entführte Menschen spuckten, seien „kaum auszuhalten“.

Die Hamas „niederschlagen“

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte die Internationale Staatengemeinschaft auf, an der Seite Israels zu handeln, der Terror der Hamas müsse „niedergeschlagen“ werden. Und auch Özdemir meinte, die Fragen der Stunde seien jetzt, wie man die Geiseln befreie und „wie kriegen wir die Hamas zurückgekämpft?“. Es sei eine Lehre der Ukraine, dass man nicht mehr wegschauen dürfe, wenn eine Demokratie angegriffen werde. Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff zeigte auf die Fernwirkungen des Konflikts. „Das ist eine weitere Krise, die wir schultern müssen.“ Da drohe ein Flächenbrand, die USA würden die Militärhilfe für Israel sicher erhöhen und woanders abziehen, dass bedeute, dass die Europäer in ihrer Unterstützung für die Ukraine „eine Schippe drauf legen müssen“ .

Der „Moderate“ hatte Erfolg

Etwas im Schatten, aber nicht weniger spannend als das Israel-Thema war die für den Abend gesetzte Frage, wie die politische Kultur in Deutschland in den robust geführten Landtagswahlkämpfen in Bayern und Hessen gelitten haben könnte. Am interessantesten war die Kernthese der Politologin Deitelhoff, dass der auf seinen grünen Koalitionspartner Rücksicht nehmende Ministerpräsident von Hessen, Boris Rhein, gerade wegen seines moderaten Kurses einen großen Wahlerfolg hatte: „Rhein war an der Mitte orientiert.“ In Bayern hingegen habe es Markus Söder mit rechtspopulistischen Aussagen probiert, das habe aber nur den Freien Wählern und der AfD genutzt. In eiiner der Aussagen habe Söder beispielsweise den Grünen „das Bayern-Gen“ abgesprochen, bei den Grünen war dies als Feindeserklärung verstanden worden. Saskia Esken stützte die These, Söder habe „Anleihen“ bei der AfD genommen und das habe sich dann am Wahltag „nur bei der AfD eingezahlt“. Als Belege für rechtspopulistische Tendenzen brachte Esken dann allerdings Beispiele, die nicht von Söder sondern von CDU-Chef Friedrich Merz (Sozialtourismus, Zahnarzttermine) oder Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger („Demokratie zurück holen“) stammten.

Der Diskurs „verroht“

Der Journalist Robin Alexander stellte überhaupt in Abrede, dass Söder nach rechts gerückt sei, in der Flugblatt-Affäre habe die Jüdische Gemeinde ihn, Söder, gar als Schutzpatron ausgerufen. Auch dass Friedrich Merz als „Rechtsaußen“ dargestellt werde, sei falsch, ein Unrecht und kontraproduktiv. Aber Deitelhoff blieb dabei: „Wir haben eine Verrohung des politischen Diskurses, und das ist ein Problem der politischen Eliten.“ Immerhin musste ihr da selbst die Christdemokratin Prien ein wenig Recht geben: „Wir müssen damit aufhören, uns gegenseitig zu diskreditieren“. Es müsse doch gemeinsam darum gehen, die AfD klein zu halten.

Frage nach Ampel-Verlusten

Auf die große Frage des Wahlabends – warum alle Ampel-Parteien so stark verloren haben - hatte Saskia Eskens nur eine akademische Antwort. Die Ampel kämpfe für einen „lebensfähigen Planeten“ und das wolle man leistbar und sozial ausgewogen schaffen, die Regierung sei von der Corona-Krise und Putins Überfall thematisch stark betroffen. Im übrigen habe die Bertelsmann-Stiftung der Ampel-Regierung bescheinigt, dass sie die Hälfte ihres Programms schon abgearbeitet habe. „Aber kann man von den Wählern dann so eine deutliche Absage kriegen“, fragte Anne Will. Nun ja, die AfD habe einfache, scheinbare Lösungen auf die Probleme zu bieten, so die SPD-Chefin Esken, „wir aber haben die komplexen Antworten“.