Die Wehrbeauftragte Eva Högl stellt sich in Berlin den Fragen der Journalisten Foto: dpa/Carsten Koall

„Die Truppe altert und schrumpft immer weiter“, sagt die Wehrbeauftragte Eva Högl bei der Vorstellung ihres Jahresberichts. Die Bundeswehr und die Verteidigungspolitik sind daran nicht unschuldig.

Es ist ein Satz, der es in sich hat – gerade in Zeiten, in denen fast jeder anerkennt, dass die Bundeswehr wieder eine größere Rolle spielen muss. „Die Truppe altert und schrumpft immer weiter“, warnt die Wehrbeauftragte Eva Högl bei der Vorstellung ihres Jahresberichts in Berlin.

Der Krieg in der Ukraine hat unmissverständlich klargemacht: Die Zeiten der Friedensdividende sind vorbei – die Bundeswehr braucht mehr Geld, bessere Ausrüstung und auch mehr Menschen, die für sie arbeiten. Beim letzten Punkt zeigt sich aber, dass es der Armee schwerfällt, sich hier vom gesellschaftlichen Trend des Fachkräftemangels abzukoppeln. Rund 181 500 Soldatinnen und Soldaten dienten Ende 2023 in der Bundeswehr, mehr als 1500 weniger als im Vorjahr. Das bedeute, so Högl: 20 000 Stellen seien unbesetzt. Dazu kommt: Die Frauenquote beträgt weniger als 15 Prozent, es gibt kaum Frauen in Führungspositionen.

Die Schreiben der Eltern

Die Wehrbeauftragte des Bundestags ist eine Art Anwältin der Soldaten. Sie ist vom Bundestag gewählt, ist aber keine Abgeordnete. Eva Högl weist auf Missstände hin, die Soldatinnen und Soldaten das Leben schwer machen – und sicher auch einen Beitrag dazu leisten, dass die Truppe es schwer hat, ausreichend Nachwuchs zu gewinnen.

„Mich erreichen Schreiben von Eltern, deren Kinder soeben den Dienst angetreten haben – in Kasernen mit maroden Stuben, verschimmelten Duschen und verstopften Toiletten“, sagt die Wehrbeauftragte Högl. Ein zum Teil beschämender Zustand der Kasernen: Diese Klage ist nicht neu. Offenkundig dauert es zu lang, erkannte Missstände zu beheben.

Das Problem mit der Bürokratie

Im Bericht der Wehrbeauftragten heißt es dazu: „Die viel zu langen Umsetzungszeiträume lassen die Betroffenen regelmäßig verzweifeln.“ Verwiesen wird dabei aber auch darauf, dass die Bundeswehr bei der Umsetzung von Bau- und Sanierungsmaßnahmen vielfach auf die Zuarbeit von Bundes- und Landesbehörden angewiesen ist, auf deren Geschwindigkeit sie kaum Einfluss nehmen können. „Vor allem führt die unzureichende Leistungsfähigkeit der Landesbauverwaltungen – im Wesentlichen aufgrund von Personalmangel – zu erheblichen Verzögerungen bei Infrastrukturvorhaben der Bundeswehr.“ Kritisiert wird aber auch Bürokratie in der Bundeswehr.

Högl, vor ihrer Wahl ins Amt der Wehrbeauftragten eine SPD-Bundestagsabgeordnete, übt harte Kritik an den Missständen. Sie betont aber auch, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe den Kampf für Verbesserungen aufgenommen.

Wie groß die Aufgaben sind, zeigt sich schon beim Blick auf das Kapitel zur finanziellen Ausstattung der Bundeswehr. Mit 58,5 Milliarden Euro sei für die Streitkräfte im Jahr 2023 deutlich mehr Geld bereitgestellt worden als in früheren Jahren. Zwar sei der Verteidigungsetat mit 50,1 Milliarden geringfügig kleiner ausgefallen als im Jahr 2022. Gleichzeitig seien aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen aber 8,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden so Högl.

Genau an dieser Stelle zeigt sich aber aus Sicht der Wehrbeauftragten – und bekanntlich nicht nur aus ihrer –, dass viele Zukunftsfragen offen sind. „Bereits heute ist erkennbar, dass nach Ausschöpfen des Sondervermögens – bis zum Ende des Jahres 2027 soll es nahezu vollständig verausgabt sein – eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsetats in einer Größenordnung von mehreren Milliarden Euro notwendig sein wird“, heißt es im Bericht. „Eine neuerliche beginnende Unterfinanzierung nach 2027 darf es nicht geben“, lautet die Warnung der Wehrbeauftragten.

Gesunkene Bereitschaft

Und wie steht Högl zur Frage nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht? Für die laufende Legislaturperiode wünscht sich die Wehrbeauftragte vor allem eine offene Debatte über Konzepte für eine Dienstpflicht – Chancen auf eine Umsetzung sieht sie so schnell noch nicht.

Klar ist auch: Ohne Überzeugungsarbeit wird es nicht gelingen, dauerhaft mehr Menschen für die Bundeswehr zu gewinnen. Der Bericht der Wehrbeauftragten verweist auf eine Befragung aus dem Jahr 2022, nach der die Bereitschaft der 16- bis 29-Jährigen, in der Bundeswehr zu dienen, noch einmal spürbar gesunken ist. Dieser Einbruch habe größtenteils noch vor dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine begonnen.