Jetzt in einer neuen historischen Rolle: Liv Lisa Fries Foto: AFP/John MacDougall

Das deutsche Kino bestimmt das erste Festivalwochenende – mit Andreas Dresens „In Liebe, Eure Hilde“ über eine NS-Widerstandskämpferin und „Sterben“ von Matthias Glasner.

Großes Hollywoodkino mag man in diesem Jahr im Wettbewerb der Berlinale vergeblich suchen, doch der eine oder andere prominente Star gab sich in den ersten Festivaltagen trotzdem die Ehre auf dem roten Teppich. Rooney Mara etwa, bekannt aus „Carol“ oder „Verblendung“, kam zur Weltpremiere von „La Cocina“, einem etwas inhaltsarmen, aber bedeutungsschwangeren und in Schwarz-Weiß gedrehten Restaurantküchen-Drama des Mexikaners Alonso Ruizpalacios, in dem sie eine ungewollt schwangere Kellnerin spielt. Und der Marvel-Star Sebastian Stan stellte mit Regisseur Aaron Schimberg und Co-Star Adam Pearson „A Different Man“ vor, eine abgründige Mischung aus Satire und Bodyhorror über einen Schauspieler, dessen Gesicht von Geschwüren gezeichnet ist.

Doch eigentlich stand das erste Berlinale-Wochenende im Zeichen des deutschen Kinos, gingen doch die beiden einzigen hiesigen Wettbewerbsbeiträge an direkt aufeinanderfolgenden Tagen ins Rennen um die Bären. Berlinale-Dauergast Andreas Dresen machte den Anfang mit „In Liebe, Eure Hilde“, in dem er – abermals nach einem Drehbuch von Laila Stieler – von Hilde Coppi erzählt, die mit ihrem Mann Hans in den frühen 1940er Jahren zur Widerstandsgruppe Rote Kapelle gehörte.

Liv Lisa Fries – bemerkenswert gut

Auf geschickte Weise erzählen Dresen und Stieler zwei Geschichten parallel: „In Liebe, Eure Hilde“ beginnt damit, wie die Titelheldin (Liv Lisa Fries) 1942 verhaftet und zu den Tätigkeiten ihres Mannes (Johannes Hegemann) befragt wird, der mit ihr und Gleichgesinnten unter anderem kommunistische Flugblätter druckte und Funksprüche nach Russland schickte. Coppi ist schwanger, ihr Sohn wird einige Monate später im Gefängnis geboren, keine vier Wochen später ihr Mann hingerichtet. Auch sie selbst wird wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt, Hitler selbst lehnt ein Gnadengesuch ab, und die Vollstreckung wird nur so lange aufgeschoben, bis sie ihr Kind nicht mehr stillen muss.

Verwoben wird das Jahr im Gefängnis in Rückblenden und chronologisch rückwärts erzählt mit der Liebesgeschichte zwischen Hilde und Hans, sodass die große Tragik ganz selbstverständlich neben sommerlicher Leichtigkeit steht. „Babylon Berlin“-Star Liv Lisa Fries ist in der Hauptrolle bemerkenswert gut, ganz still und doch unerschütterlich. Aber Dresens Film über Anstand und Zivilcourage beeindruckt auch durch das Bild, das er von den jungen Widerstandskämpfern zeichnet, deren Alltag im Dritten Reich kaum weniger modern scheint als das Gleichaltriger heute. Und Nazideutschland hat man selten so auf der Leinwand dargestellt gesehen, ganz ohne Hakenkreuze und Uniformen, was die gnadenlose, durchorganisierte Menschenfeindlichkeit noch erschütternder macht.

Drei Stunden Konfrontation mit dem Tod

Schonungslosigkeit ist auch bei Matthias Glasner angesagt, der zum dritten Mal im Wettbewerb vertreten ist. In „Sterben“ konfrontiert er, dezidiert autobiografisch inspiriert, das Publikum drei Stunden lang mit dem Tod und rückt eine Familie ins Zentrum, die längst auseinandergedriftet ist. Lissy Lunies (Corinna Harfouch) ist kaum mehr in der Lage, sich um ihren fortschreitend dementen Mann Gerd zu kümmern, zumal sich ihr eigener Gesundheitszustand rapide verschlechtert. Ihr Sohn Tom (Lars Eidinger), ein Dirigent, arbeitet mit seinem depressiven besten Komponisten-Freund an einem neuen Orchesterstück, das mit dem Film den Titel teilt, und gibt für das frisch geborene Baby der Ex-Freundin den Wahl-Papa. Und Tochter Ellen (Lilith Stangenberg) bekämpft ihre Dämonen mit Unmengen von Alkohol.

Glasner widmet sich diesen Familienmitgliedern der Reihe nach, und der besonders trostlose Erzählstrang um die Eltern ist dabei der wahrhaftigste, schmerzhafteste – und stärkste. In erstaunlichen Nuancen macht Harfouch Jahrzehnte unaufgearbeiteter Emotionen greifbar, und ein Dialog zwischen ihr und Eidinger am Kaffeetisch gehört zu den erschütterndsten, die es im deutschen Kino seit Langem zu sehen gab. Doch die anderen Geschichten in „Sterben“ können da nicht mithalten. Je mehr es um Eidingers und vor allem Stangenbergs Figuren geht, desto dicker tragen alle Beteiligten auf, was „Sterben“ zusehends zu einer anstrengenden Angelegenheit macht.

Drama um den Kampf gegen die Sucht

Parallel präsentierten in Sektionen jenseits des Wettbewerbs auch zwei deutsche Regisseurinnen ihre neuen Filme. „The Outrun“ von Nora Fingscheidt hatte Weltpremiere vor einigen Wochen in Sundance gefeiert und zeigte in Berlin nun im Panorama, wie viel vielschichtiger und eindringlicher man von Alkoholismus erzählen kann, als es Glasner in „Sterben“ tut. Fingscheidt („Systemsprenger“) hat sich dieses Mal mit der mehrfach Oscar-nominierten irischen Schauspielerin Saoirse Ronan zusammengetan und erzählt – basierend auf einer wahren Geschichte – von der jungen Rona, die nach einem tragischen Vorfall versucht, trocken zu werden und dazu in die raue Natur ihrer schottischen Heimat zurückkehrt. Ein fantastisch gespieltes, aufwühlend und fragmentiert erzähltes Drama darüber, dass der Kampf gegen die Sucht nie leicht, aber immer ein bisschen einfacher wird.

International aufgestellt hat sich mit „Treasure“ auch Julia von Heinz, die für die Verfilmung von Lily Bretts Roman „Zu viele Männer“ erstmals auf Englisch gedreht hat. Anfang der Neunziger begleitet ein Holocaustüberlebender (Stephen Fry) seine Tochter (Lena Dunham) auf eine Reise nach Polen, die auch nach Auschwitz führt. Eine bewegende Geschichte und interessante Besetzung. Im Vergleich mit der Vorlage als auch mit ähnlichen Filmen hätte von Heinz’ Arbeit allerdings ein bisschen mehr Subtilität und auch Humor gutgetan.