Die Originalzeichnungen werden ergänzt durch Exponate der jeweiligen Zeit aus dem Waiblinger Stadtarchiv, hier ein Hochzeitskleid. Foto: Gottfried Stoppel

Mit bösen Karikaturen hat die Zeitschrift „Simplicissimus“ die Mächtigen verärgert und sich über so manche Mode lustig gemacht. Die Galerie Stihl Waiblingen zeigt rund 100 Originale, kombiniert mit Gegenständen aus dem Stadtarchiv.

Verkaufsverbote, Klagen, Geldbußen: Die im Jahr 1896 gegründete Satirezeitschrift „Simplicissimus“ war den Mächtigen ein Dorn im Auge. Der beißende Spott, mit dem sich die Macher dieses Blatts in Karikaturen und Texten über Kaiser Wilhelm II und das Preußentum, über das Militär sowie Kirche und Klerus lustig machten, führte dazu, dass die Autoren und Zeichner der Zeitschrift des Öfteren zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Der „Simplicissimus“-Verleger Albert Langen fand mit seiner Redaktion auch dafür eine kreative Lösung und etablierte die Stelle eines sogenannten Sitzredakteurs. Dieser hieß Kaspar Gulbransson, er saß nicht nur in den Redaktionskonferenzen mit am Tisch, sondern auch für die Kollegen ein, sprich: Er ging stellvertretend ins Gefängnis, wenn mal wieder eine Haftstrafe abzusitzen war.

100 Originalzeichnungen und Zeitschriften aus dem ganzen Land

Womit die berühmte Satirezeitschrift aus München über Jahrzehnte für Furore sorgte, das können Besucher nun in der Galerie Stihl in Waiblingen sehen. Diese zeigt bis zum 12. Februar etwas mehr als 100 Originalzeichnungen und Zeitschriften des „Simplicissimus“ unter dem Titel „Gewitzt, gewagt, gezeichnet“. Das Thema trägt die Galerie-Leiterin Anja Gerdemann schon seit Jahren mit sich herum. „Es galt aber als nicht realisierbar“, sagt sie. Denn die Zeichnungen und historischen Zeitschriften sind nicht in einer oder wenigen Sammlungen vereint, sondern auf viele Besitzer quer durch Deutschland und sogar bis nach Südtirol verteilt.

Anja Gerdemann ist trotzdem dran geblieben. Nach langer Vorarbeit gaben schließlich zehn Leihgeber – Museen und Privatleute – grünes Licht dafür, dass die Stücke nach Waiblingen reisen dürfen. Die empfindlichen Originalzeichnungen seien aus ganz Deutschland in speziellen klimatisierten Kästen an die Rems transportiert worden, berichtete Anja Gerdemann: „Das war ein großer logistischer Aufwand.“

Die nach dem Konzept von Sandra Spiegler und Stephanie Machowetz zusammengestellte Ausstellung zeigt neben den Werken auf Papier auch 25 ausgewählte Exponate aus dem Waiblinger Stadtarchiv, zum Beispiel eine Pickelhaube aus dem Kaiserreich, ein schwarzes Hochzeitskleid aus dem frühen 20. Jahrhundert oder auch Lebensmittelkarten und Notgeld aus der Zeit der 1920er-Jahre. „Mit diesen Exponaten wollen wir die Ausstellung lebendiger machen und den Zeitgeist aufleben lassen“, erklärt die Kuratorin Sandra Spiegler.

Inflation, Wohnungsnot, fragwürdige Machthaber

Beim Gang durch die Ausstellung, die gestalterisch einem begehbaren Geschichtsbuch gleicht, wird schnell klar: Was die Menschen in der Vergangenheit bewegte, treibt auch die in der Gegenwart um. Inflation, Armut, Wohnungsnot, fragwürdige Machthaber – alles schon dagewesen. Und von den Mitarbeitenden des „Simplicissimus“ mit spitzer Feder zu Papier gebracht. „Hinter den alten Zeitungen steht Weltgeschichte“, sagt Sandra Spiegler, die sich seit 20 Jahren mit dem „ Simplicissimus“ beschäftigt. Kaiserzeit, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, die Zeit des Naziregimes und der Zweite Weltkrieg spiegeln sich hier wider.

Bis etwa ins Jahr 1918 war der „Simplicissimus“, dessen Wappentier eine knallrote, die Zähne fletschende Bulldogge war, besonders bissig. „Das war die Glanzzeit, danach verflachte es etwas“, sagt Sandra Spiegler. Im Jahr 1933 wurde die Redaktion gestürmt, verwüstet und in Brand gesteckt. Etliche der jüdischen Mitarbeitenden mussten flüchten, auch der Schöpfer der Bulldogge, Thomas Theodor Heine. Für die noch verbliebenen Redaktionsmitglieder lautete die Devise bis zum endgültigen Schlussstrich im Jahr 1944, dass nur noch über die außenpolitischen Feinde gespottet werden durfte, die Innenpolitik war weitgehend tabu. Dennoch zeigen auch Illustrationen aus dieser Zeit in der Schau, dass die Macher „die braune Gefahr erkannt haben“, so Spiegler.

So manches Thema ist nahezu zeitlos

Ein Teil der Ausstellung widmet sich den Themen Alltag und Sozialkritik. Diese Zeichnungen seien „nahezu zeitlos“, auch nach 125 Jahren, sagt Sandra Spiegler und deutet auf eine Karikatur, welche die Studentenszene auf die Schippe nimmt. Ein Korpsstudent sagt da zu seinem Kommilitonen: „Ich glaube, ich habe bald ausstudiert – ich werde von nichts mehr besoffen.“ Auch die Frauenemanzipation oder technische Neuerungen wie das Fahrrad oder das Auto waren Themen für das Blatt. Sämtliche Exponate sind mit kurzen erklärenden Texten versehen, zudem haben die Ausstellungsmacher die Biografien von 14 Mitarbeitenden des Blatts erstellt, zu denen Käthe Kollwitz gehörte. Mithilfe von QR-Codes können alle, die noch mehr wissen möchten, sich weitere Informationen verschaffen. Und wer in den Heften blättern will, die in der Galerie natürlich geschützt hinter Glas sind, kann das am Rechner tun: Sämtliche Jahrgänge sind in digitalisierter Form im Internet zu finden.

Die Satirezeitung im Internet unter: http://www.simplicissimus.info

Rund um die Ausstellung

Eröffnung
„Gewitzt, gewagt, gezeichnet“ in der Galerie Stihl Waiblingen, Weingärtner Vorstadt, ist von 19. November an geöffnet, und zwar dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet sechs Euro, ermäßigter Preis vier Euro. An Freitagen ist der Eintritt von 14 bis 18 Uhr frei.

Rahmenprogramm
An diesem Samstag, 19. November, führt die Kuratorin Sandra Spiegler von 15 Uhr an durch die Ausstellung. Am 13. Dezember findet ab 19 Uhr eine Lesung rund um den Namensgeber der Zeitschrift aus dem Roman „Der abenteuerliche Simplicissimus“ statt.