Andrij Melnyk zweifelt an der Zuverlässigkeit Deutschlands. Foto: Lichtgut//Achim Zweygarth

Der ukrainische Botschafter in Deutschland hat in der Talkshow „Anne Will“ an die deutsche Bevölkerung appelliert, Waffen zu liefern. Doch seine Gesprächspartner blieben bei ihrer Linie.

Berlin - Einen Tag vor der Reise von Außenministerin Annalena Baerbock in die Ukraine hat Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“, Deutschland dazu aufgerufen, „aus dem Dornröschenschlaf“ zu erwachen und Waffen in sein Land zu liefern. Er wandte sich direkt an die Bevölkerung und sagte zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine: „Es geht um Sein oder Nichtsein, es geht um Frieden oder Krieg. Es gibt keine Zwischentöne. Waffen zu verweigern, bedeutet, uns im Stich zu lassen“.

Klare Haltung der Politiker

In Umfragen hatten allerdings 71 Prozent der Deutschen Waffenlieferungen aus Deutschland in die Ukraine als falsch bezeichnet. Auch Melnyks deutsche Gesprächspartner in der Talkrunde blieben einmütig bei ihrer Haltung. Jürgen Trittin, der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, betonte, die Europäer hätten sich auf Abschreckung durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen geeinigt. „Die Beziehungen zu Russland werden gekappt“, sollte es zu einer Invasion kommen. Eine militärische Beteiligung werde es nicht geben.

Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, bezeichnete Waffenlieferungen als falsch. Er kenne keinen Fall in der Geschichte, in dem Waffenlieferungen etwas gebracht hätten.

Waffenlieferungen generell überdenken

Dennoch sei Deutschland der viertgrößte Waffenexporteur der Welt, führte Anne Will an. An die Ukraine wurden 5000 Helme geliefert. Messe besonders die SPD mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit zweierlei Maß? SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigte die Lieferung der Helme und vermutet, es werde versucht Deutschland zu diskreditieren. Die Ukraine habe ihre Forderungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht beziffert gehabt, so gebe es keinen Grund, die Lieferung lächerlich zu machen. Über die Presse seien die Forderungen bekannt gewesen, wich der Botschafter aus. 100 000 Helme habe sein Land verlangt. Seit Freitag gebe es eine offizielle Wunschliste der Ukraine für Defensivwaffen. Dazu werde Außenministerin Baerbock bei ihrem Besuch Stellung nehmen müssen.

Kühnert will, dass Deutschland die Waffenexporte generell überdenkt, auch Trittin verwies auf einen Gesetzentwurf, den das von seinem Parteifreund Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium zur Restriktion künftiger Waffenlieferungen erarbeite.

Historischer Verweis in der Kritik

Kontroversen hat der Hinweis Baerbocks hergerufen, es gebe historische Gründe für die Verweigerung der Waffenlieferungen. Die amerikanisch-polnische Historikerin Anne Applebaum wurde deutlich: „Deutschland nutzt seine Geschichte als Ausrede“. Es liefere Waffen an autoritäre Staaten, mache mit Russland und China Geschäfte. Um welche Geschichte geht es, fragte Applebaum. Deutschland sei schon einmal in die Ukraine einmarschiert, „auch das hat historische Bedeutung“.

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Die Äußerung Baerbocks sei den Ukrainern „sehr übel aufgestoßen“, berichtete die ARD-Korrespondentin Ina Ruck aus der Ukraine. Sie verwies darauf, dass die Ukraine im Zweiten Weltkrieg die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren habe. Bei ihrem Besuch müsse die Außenministerin ihre Äußerungen zur Geschichte präzisieren. Jürgen Trittin warnte mit Blick auf Applebaum, „man sollte in der konkreten Situation argumentieren und nicht diese Schärfe in die Diskussion bringen“.

Nato-Beitritt in der Debatte

Fast provozierend einig waren sich Kühnert, Bartsch und Trittin auch in der Frage eines Nato-Beitritts der Ukraine. Ein Beitritt dürfe nicht zu Lasten eines anderen Landes gehen, sagte Bartsch mit Blick auf Russland. Trittin verwies darauf, es gebe „keinen Konsens für einen Nato-Beitritt der Ukraine“.

Auf der anderen Seite sagte der Botschafter Andrij Melnyk, „es wäre nie zur Annexion der Krim gekommen, wenn die Ukraine Nato-Mitglied wäre“. Er argumentierte, die Gefahr eines neuen Krieges wäre gebannt, wäre die Ukraine in dem Verteidigungsbündnis vertreten. Applebaum vertrat die Position: „Die Erweiterung der Nato war der größte Beitrag zur Sicherheit“. Der Druck Russlands habe erst zum Wunsch der Ukraine geführt, in die Nato aufgenommen werden zu wollen.