Panorama einer rekonstruierten historischen hölzernen Palisade mit Eingangstor (Symbolbild). Foto: Imago/Design Pics

Wann wurde der Mensch zum Festungsbauer? Archäologen haben in der sibirischen Taiga die Überreste der wohl ältesten befestigten Siedlung der Welt entdeckt. Vor rund 8000 Jahren schützten ihre Bewohner sie mit Gräben und Palisaden vor Fremden.

Das „Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm“ definiert eine Festung als „weitläufig angelegten, stark befestigten Bau, der strategisch wichtig ist und zur militärischen Verteidigung dient“.

Schon früh in der Geschichte haben Menschen solche befestigten Orte errichtet, wie die Kultstätte von Göbkeli Tepe in der Türkei, die Siedlung Motza in Israel, monumentale Bauten in der arabischen Wüste oder Ringbauwerke aus der Bronze- und Eisenzeit in Europa.

Die befestigte Siedlung Amnya I. lag am Amnya River in Sibirien. Foto: PiezonkaPiezonka et al./ Antiquity/Nikita Golovanov

Wann wurde der Mensch zum Baumeister?

Reste einer historischen Befestigung aus Holz (Symbolbild). Foto: Imago/Design Pics
Angespitzte Holzpfähle nebeneinander aufgereiht ergeben schon einen wirkungsvollen Schutz vor unwillkommenen Fremden. Foto: Imago/Pond5 Images

Größere Bauten aus der Jungsteinzeit (rund 9500 bis 2000 v. Chr) zeigen, dass der Mensch mit Beginn der Neolithischen Revolution nicht nur zum Bauern, sondern auch zum Baumeister wurde. Umstritten war bisher, wann der Wandel vom Jäger und Sammler zum sesshaften Architekten stattgefunden hat.

„Traditionell assoziieren archäologische Narrative die Bildung sozial und politisch komplexer Gesellschaften erst mit dem Aufkommen der Landwirtschaft“, schreiben Henny Piezonka und ihr Team vom Prähistorischen Institut der Freien Universität Berlin und ihre Kollegen in ihrer Studie („The world’s oldest-known promontory fort: Amnya and the acceleration of hunter-gatherer diversity in Siberia 8000 years ago“), die jetzt im Fachmagazin „Antiquity Journal“ erschienen ist.

Ältestes bekanntes Fort der Welt

Lage der steinzeitlichen Siedlungen Amnya I und II in der sibirischen Taiga. Foto: © Piezonka et al./Antiquity, CC-by /4.0
Die Bewohner von Amnya könnten Vorfahren der osteuropäischen Jamnaja-Kultur aus der späten Kupfer- und frühen Bronzezeit gewesen sein. Foto: © Piezonka et al./Antiquity, CC-by /4.0

Funde aus einer abgelegenen Region Sibiriens werfen nun ein komplett neues Licht auf die Bautätigkeiten steinzeitlicher Jäger. Die Berliner Archäologen haben in der Taiga zwischen dem Ural und den Flüssen Jenissei, Dnister, Bug und Ural in der Pontischen Steppe mehrere Siedlungen aus neolithischer Zeit entdeckt.

„Unter diesen Pionierstätten sind auch einige der frühesten befestigten Siedlungen des nördlichen Eurasiens“, berichten die Spatenforscher. „Allein acht verschiedenen Steinzeit-Siedlungen dieser Art sind bisher bekannt.“

Die Bewohner könnten Vorfahren der osteuropäischen Jamnaja-Kultur (englisch: Yamnaya culture) – auch Grubengrab-Kultur (englisch: Pit grave culture) genannt – aus der späten Kupfer- und frühen Bronzezeit gewesen sein.

Steinzeit-Feste in der Taiga

Archäologen bei der Vermessung der Ausgrabungsstätten. Foto: © Piezonka et al./Antiquity, CC-by /4.0

Eine dieser befestigten Siedlungen ist Amnya I. Der Ort liegt auf einem Sandsteinvorsprung über einer sumpfigen Flussebene. Bei den Ausgrabungen wurden Überreste einer Holzpalisade, Wallgräben und Fundamente von zehn Gebäuden sowie Relikte von mindestens 45 Tongefäßen freigelegt. „Diese Grubenhäuser sind rechteckig und zwischen 13 und 41 Quadratmeter groß“, berichten die Forscher. „Das größte dieser Gebäude lag an der Spitze des Vorsprungs.“

Mithilfe der Radiokarbonmethode konnte auch das Alter der Siedlung bestimmt werden. „Die Datierungen bestätigen das steinzeitliche Alter der Stätte“, erläutert Henny Piezonka. Mit rund 8000 Jahren ist Amnya „das älteste bekannte Fort der Welt“. Bei der Holzpalisade und einem der drei Wallgräben handelt es sich um die ältesten Bauten. Später kamen größere Gebäude, weitere Gräben und eine zweite Palisade hinzu.

Zitadelle mit vorgelagerter Siedlung

Aufbau der befestigten Steinzeit-Siedlung Amnya I . . . Foto: © Piezonka et al./ Antiquity, CC-by 4/.0
. . . und des unweit gelegenen unbefestigten Dorfs Amnya II. Foto: © Piezonka et al./Antiquity, CC-by /4.0

Rund 50 Meter von der eigentlichen Festung entfernt lag Amnya II., eine unbefestigte Siedlung von zehn Häusern. „Die Datierungen sprechen dafür, dass dieser Komplex in eine befestigte ‚Zitadelle‘ und einen vorgelagerten ‚Burghof‘ gegliedert war“, berichten die Archäologen. Dies zeuge von einer hierarchischen Struktur der Gesellschaft, die es auch in den anderen Steinzeit-Siedlungen dieser Taiga-Region gegeben hat.

Die strategisch durchdachten und architektonisch ausgefeilten Verteidigungsanlagen von Amnya sind um rund 3000 Jahre älter als vergleichbare Bauten in Europa. „Der Amnya-Siedlungskomplex kennzeichnet den Anfang eines einzigartigen, lang anhaltenden Phänomens von Jäger-und-Sammler-Verteidigungsstrukturen im Norden Eurasiens“, schreiben die Wissenschaftler. „Diese Erkenntnis verändert unser Verständnis der frühen menschlichen Gesellschaften.“

Schutz vor Fremden und Konflikten

Ausgrabungen beim neolithischen Fort Amnya I..  Foto: © Courtesy Henny Piezonka/Archeology
Die Archäologen haben bei ihren Grabungen die Strukturen der Siedlung freigelegt.  Foto: © Courtesy Henny Piezonka/Archeology

Über die Gründe, warum es ausgerechnet in dieser entlegenen Weltgegend zu einem solchen Entwicklungsschub kam, können die Forscher nur spekulieren. Möglicherweise hängt dies mit einem Klimawechsel vor rund 8200 Jahren zusammen, der zu einem größerem Angebot an Ressourcen und Nahrungsquellen führte. Dies könnte einen verstärkten Zuzug von Menschen aus anderen Gebieten zur Folge gehabt haben. Was wiederum die ansässigen Gruppen zum Bau von Befestigungen animierte, um ihr Territorium zu schützen.

„Die befestigten Siedlungen mit Blick auf die Flüsse dienten möglicherweise als strategische Standorte zur Kontrolle und Ausbeutung der ergiebigen Fischgründe“, erklärt Piezonka. „Der Wettbewerbscharakter, der sich aus der Lagerung von Ressourcen und der Zunahme der Bevölkerung ergibt, ist in diesen prähistorischen Bauten offensichtlich und widerlegt frühere Annahmen, dass es in Jäger- und Sammlergesellschaften keine größeren Konflikte gab.“