Vorbereitung für CD und Konzert mit vielseitigem Instrumentarium. Foto: /Benjamin Knoblauch

In Freudental entsteht am Wochenende eine CD zu „1000 Jahre jüdisches Europa“. Musikerinnen und Musiker der Asambela Mediterranea interpretieren Werke, Zeitzeugenerinnerungen und andere denkwürdige Texte aus einem ganzen Jahrtausend.

Was der griechische Ingenieurs-Student Jacques Stroumsa, der den Holocaust überlebte, später in einem Interview zur Bedeutung des politischen Bewusstseins sagte, ist zeitlos gültig. „Der große Fehler der Juden in Saloniki zu dieser Zeit war, dass wir leider keinerlei politische Bildung hatten.  Der Nationalsozialismus war nach 1930 schon auf dem Vormarsch in Deutschland. Aber wir hatten keinen Realitätssinn in politischer Hinsicht. Wir beschäftigten uns mit unserem Studium“, bedauerte er rückblickend. Auch als die Deportationen begannen und ein Freund ihn warnte, glaubte er noch nicht an die Todesgefahr: „Unser Verstand, unser Gehirn wollte so etwas nicht wahrhaben. Wir wussten, dass die Deutschen Antisemiten waren, aber so weit zu gehen, Juden zu ersticken und dann zu verbrennen, das war unglaublich, unvorstellbar.“

Meilenstein in Freudental

Die Erinnerungen von Jacques Stroumsa sind Part eines spannenden Projekts, das an diesem Wochenende im Pädagogisch-Kulturellen Centrum in der ehemaligen Synagoge Freudental einen Meilenstein erlebt: „1000 Jahre Galut“ heißt es, und es vereinigt Texte und Musik aus einem Jahrtausend jüdischer Geschichte in Europa. Galut ist der hebräische Begriff für die Exilantengemeinschaften außerhalb Israels; das Projekt spiegelt das Thema aber auch im Blick auf Bezüge zu Islam und Christentum.

„Wir machen spürbar, wie vielfältig jüdische Kultur in Europa ist und durch welche Geschichten und Klänge der Kontinent im Lauf von tausend Jahren gegangen ist“, sagt Alon Wallach von der Asambela Mediterranea, dem Ensemble, das die musikalischen und schriftlichen Zeitzeugnisse am Wochenende zum Klingen bringt. Die Musikerinnen und Musiker nehmen in der ehemaligen Synagoge eine CD auf; am Sonntagabend ist das Programm dort in einem Konzert zu hören – es ist die Erstaufführung. Sie passt auch zu einem anderen Anlass: 300 Jahre ist es her, dass sich die ersten Juden in Freudental ansiedelten. Ein Anlass, der jüngst bei einem Festakt in der Synagoge gewürdigt wurde, die heute Begegnungs-, Lern- und Veranstaltungsstätte ist. „Sie ist ein guter Ort für die Aufnahme, sie passt auf inhaltlicher und musikalischer Ebene“, findet Alon Wallach.

Wenn man nicht genug kriegen kann

Vom 10. und 11. Jahrhundert in Andalusien, wo durch das Zusammenleben von Juden und Muslimen ein Schatz an Wissenschaft, Architektur, Theologie, Poesie und Musik entstand, über Portugal und die Niederlande im 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichen die mit reichhaltigem Instrumentarium interpretierten Musikstücke und Texte.

Sie werfen Schlaglichter auf die Geschichte des europäischen Judentums, die das friedliche interreligiöse Zusammenlebens ebenso kennen wie die gnadenlose Verfolgung und den Versuch, das jüdische Leben in Europa in seiner Gesamtheit auszulöschen. Besonders beeindruckend finde er einen Text des Philosophen Maimonides, „der schon vor 800 Jahren beschrieben hat, was passiert, wenn Gesellschaften nicht genug kriegen können“, sagt Alon Wallach.

Die Texte, die mittels persönlicher Färbung mehr transportieren sollen als reine Information aus einer bestimmten Epoche, trug vor allem der Geschichtsstudent Leopold Luz zusammen – in akribischer und aufwendiger Recherche. Zusammen mit der CD, die am Wochenende aufgenommen wird, soll auch ein Buch erscheinen, das die angeschnittenen Themen vertieft. Die Veröffentlichung ist für 2024 geplant, finanziert wird das Projekt durch öffentliche Fördergeber, Stiftungen und anderen Institutionen.

Anhören kann man sich die Reise durch Europas jüdische Kulturgeschichte schon früher: am Sonntag, 2. Juli, um 18 Uhr in der Synagoge Freudental.