„Penner“, „Scheißkerl“, „Sackgesicht“, „Drecksau“, „Arschloch“: Der Stinkefinger gehört augenscheinlich für viele Choleriker zum Leben dazu wie die Luft zum Atmen. Foto: Imago/Ray van Zeschau

Keines der zehn Glieder der menschlichen Hand hat es zu ähnlichem Ruhm gebracht wie der rechte Mittelfinger. Als obszöne Geste ist der Stinkefinger aus dem Politikgeschäft und der Kulturgeschichte nicht wegzudenken. Genauso wie Beleidigungen. Über den rechten Umgang mit verbalen Entgleisungen.

Wer richtig sauer ist und mal Dampf ablassen will, greift tief in die Obszönitäten-Kiste. „Scheißkerl“, „Penner“, „Sackgesicht“, „Drecksau“, „Arschloch“, „Wichser“, „Vollpfosten“.

Verbale Brachialgewalt und beleidigende Gesten: Muss das sein?

Zugegeben! Es geht auch eine Nummer leiser, ohne verbale Brachialgewalt, dafür nicht minder effektiv und beleidigend. Aber: „Eine Geste kann mehr als einen ganzen Satz ersetzen“, betont der Freiburger Sprachforscher Hans Martin Gauger.

Schon in der Antike wurde der steil in die Höhe gereckte Mittelfinger überaus geschätzt, um seinem Gegenüber die unflätige Meinung zu geigen. „Digitus impudicus“ – schamloser, unzüchtiger Finger nannten ihn die alten Römern. Eine derb verhöhnende Anspielung auf den Analverkehr zwischen Männern.

Das „Gute“ am Stinkefinger ist, dass er als nonverbale Geste selbsterklärend ist: „Du kannst mich mal“, „Ich hab gerade keinen Bock“, „Leck mich“ oder (im Englischen beliebt) „Fuck you!“, „Fuck off!“ (im Englischen heißt er einfach „the finger“). Das versteht (fast) jeder auf der Erde sofort.

2016: Sigmar Gabriel rastet aus

Erinnern Sie sich? Es war im August 2016: Der damalige Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel spricht bei einem Wahlkampfauftritt im niedersächsischen Salzgitter. Da plötzlich versuchen vermummte Pöbler ihn lautstark zu stören und beschimpfen ihn als „Volksverräter“.

Der SPD-Chef tickt kurz aus, reckt den Störenfrieden breit grinsend den Stinkefinger entgegen und zeigt den Vermummten so die „Ar . . .  karte“. Nach dem Motto: „Was Du wolle!“ „Ihr könnt mich mal!“ Aber Herr Gabriel, das geht gar nicht? Oder etwa doch?

Fäkalorientierte deutsche Sprache: Warum schimpfen wir?

In der bezüglich Beleidigungen und Fluchen fäkalorientierten deutschen Sprache steht nicht so sehr das phallisch Sexuelle, sondern der „exkrementelle Zusammenhang“ im Vordergrund, wie Sprachforscher Gauger erklärt.

Teutonische Sprachbilder hingen fast ausschließlich mit Ausscheidungen, mit Kot und Urin zusammen. „Wir bewegen uns ziemlich eigensinnig, allerdings mit einiger Fantasie, auf der, deutlich gesagt, Scheiß-Linie.“ Gauger nennt das „exkrementelle Obsession“.

Beleidigen, Beschimpfen, Fluchen: Wieso ist das ein Stuhlgang der Seele?

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ein verbaler und gestischer „Stuhlgang der Seele“ befreit und Stress abbaut. Die möglichen rechtlichen und finanziellen Folgen von Beleidigungen im öffentlichen Raum machen den schnell nachlassenden positiven Effekt allerdings wieder vollkommen zunichte. Deshalb ein Tipp: Finger weg vom Beleidigen, Fluchen und Stinkefinger!

Knigge für den Alltag: 10 Tipps, wie Sie auf Beleidigungen reagieren sollten

Der Benimm-Knigge hat zahllose Prolls zu Gentlemen, Macker zu Grandseigneurs und Deppen zu Persönlichkeiten geformt. Foto: Imago/Sascha Steinach

Der Aufklärer Adolph Freiherr von Knigge (1752-1796) hat mit seiner Schrift „Über den Umgang mit Menschen“ in zwei Bänden aus dem Jahr 1788 zahllose Prolls zu Gentlemen, Macker zu Grandseigneurs und Deppen zu Persönlichkeiten geformt. Sein Name steht für den klassischen Benimmratgeber, der auch im stressgeplagten Alltag immer im Handgepäck dabei sein sollte.

Als kleine Nachhilfe haben wir 10 Tipps für Sie zusammengestellt, wie Sie auf Beleidigungen reagieren sollten:

Lassen Sie Ihren Finger in der Hose!

Stinkefinger (gleich doppelt): Reinigendes Ventil der Seele. Lassen Sie es am besten bleiben!  Foto: Imago/Shotshop

Der Stinkefinger ist ein reinigendes Ventil der Seele und als nonverbale Geste selbsterklärend. „Du kannst mich mal“, „Ich hab gerade keinen Bock“, „Leck mich“ oder (im Englischen beliebt) „Fuck you!“, „Fuck off!“ (im Englischen heißt er einfach „the finger“). Das versteht (fast) jeder auf der Erde sofort.

Lassen Sie Beleidigungen an sich abperlen!

Seien Sie kein "Kleines Arschloch"! Behalten Sie die Nerven, wenn der andere sie beleidigt!  Foto: dpa

Wer richtig sauer ist und mal Dampf ablassen will, greift tief in die Obszönitäten-Kiste. „Scheißkerl“, „Penner“, „Sackgesicht“, „Drecksau“, „Arschloch“, „Wichser“, „Vollpfosten“. Zugegeben, es geht auch eine Nummer leiser, ohne verbale Brachialgewalt, dafür nicht minder effektiv und beleidigend. Und: Eine Geste kann mehr als einen ganzen Satz ersetzen.

Seien Sie multikulti tolerant!

Kulturelle Aneignung: Ex-„Musikantenstadl“-Moderator Karl Moik als Beduine verkleidet. Muss dassein?!  Foto: dpa

Einem Araber ein „Deine Muttermilch war Kamelpisse“ entgegenzuschleudern, könnte im Heiligen Krieg enden. Auf dem Balkan und im Nahen Osten ist die Verwandtenschmähung üblich. Das hängt damit zusammen, dass dort Mutter und Schwester sowie weibliche Anverwandte sehr geehrt werden.

Halten Sie Ihre Gesichtszüge im Zaun!

Bleiben Sie in allen Augenblicken cool! Foto: dpa

„Arsch“, „Mist“, „Scheiße“ rutschen ihnen schnell mal über die Lippen, wenn sie im Stau stecken oder jemandem verbal eins überbraten wollen. Wem Reden Silber und Schweigen Gold ist, der genießt lieber seinen Zorn, indem er mit Verve den Mittleren reckt.

Bewahren Sie ruhig Blut!

Denken Sie stets daran: Keep down! Foto: Imago/foto2press

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ein verbaler und gestischer „Stuhlgang der Seele“ befreit und Stress abbaut. Die möglichen rechtlichen und finanziellen Folgen einer Beleidigung machen den schnell nachlassenden positiven Effekt allerdings wieder vollkommen zunichte.

Seien Sie ein Gutmensch!

Zeigen Sie sich von Ihrer besten (Gutmensch-)Seite! Foto: Imago/Panthermedia

Die Wutrede ist auch in der Politik ein qualifiziertes Mittel der Kommunikation. Für Choleriker ist der parlamentarische Schlagabtausch die perfekte Bühne. Im Stilblüten-Archiv des Bundestages sind Pöbel-Klassiker verewigt: Berufsrandalierer, Gangster, Galgenkandidat, Lackschuhpanther, Möchtegern-Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Petersilien-Guru, Putzlumpen, Massenmörder, Giftspritze. Ja, das waren noch Zeiten, als Großmeister der Schimpfkunst wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Horst Ehmke, Helmut Schmidt und Joschka Fischer maulten, schimpften und wüteten.

Vergeben Sie ihren Feinden!

Auch wenn's Ihnen stinkt: Vergeben Sie denen, die Ihnen verbal Böses wollen!  Foto: dpa

Fluchen, Schimpfen und Schmähen gehören sicher nicht zum guten Ton, sind aber unverzichtbarer Teil der menschlichen Kultur. Außerdem sind sie gut für die Seelenhygiene, Kindererziehung und das gepflegte Miteinander. Himmel, Oarsch und Zwian!

Seien Sie nichts das, was der andere Ihnen vorwirft!

Seien Sie nicht so wie jene, die andere mit Dreck beschmeißen! Foto: dpa

Was dem Deutschen sein „Scheißkerl“ ist, ist dem Niederländer sein „Kloothannes“. „Kut“ (Vagina) und „Kloten“ (Hoden) sind fester Bestandteil holländischer Schimpfkultur. Dass ausgerechnet die als besonders ordnungsliebend und sauber geltenden Teutonen skatologisch fluchen – also eine Vorliebe für Fäkalsprache haben –, hängt damit zusammen, dass kulturell Geschätztes ins Gegenteil verkehrt und der Beschimpfte mit verbalem Unrat beworfen wird.

Schlucken Sie Ihre Wut runter!

Machen Sie sich nicht zum Affen! Das tun andere schon zur Genüge. Foto: dpa

Schimpfwörter unterliegen genauso wie Kleidung oder Musik wechselnden Moden. Früher waren es die „Krüppel“-, dann die „Spaghettifresser“- oder „Jugo“-Beschimpfungen, heute sind es die „Tussis“, „Schwuchteln“ und „Bitches“. Die Lust am „Male dictus“ – an der beleidigenden, gemeinen und vulgären Rede – ist ein globales Phänomen. Fünf Prozent der Gespräche am Arbeitsplatz und mehr als zehn Prozent der Unterhaltungen in der Freizeit bestehen laut Studien aus Schimpfwörtern.

Lassen Sie sich nicht provozieren!

Denken Sie bei „Arschgeige“ einfach an den wunderbaren Klang der Violinen in Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“! Foto: dpa

Die Beschimpfung als Arschgeige ist eine unkultivierte, unflätige und herabwürdigende Anspielung auf den eher passiven Partner in einer Männer-Beziehung. Arschgeigen sind unsympathische und würdelose Schmeichler, Schwätzer und Liebesdiener, feige, dumm, einfältig und nichtsnutzig noch dazu. Unsympathler und Ungustl, wie die Österreicher zu schimpfen pflegen.

Behalten Sie Ihre verbalen Exkremente für sich!

Denken Sie bei Verbalentgleisungen einfach: "Du kannst mich mal!"  Foto: dpa

Die Deutschen sind eher fäkalorientiert, Russen und Serben genitalfixiert, Araber und Türken familienorientiert, Italiener und Spanier verstehen sich bestens auf Gotteslästerungen. „Arsch“, „Mist“, „Scheiße“ und „Pisse“ rutschen einem Deutschen schnell mal über die Lippen, wenn er im Stau steckt oder seinem Gegenüber verbal eins überbraten will.