

Die Waldenbucher Bibliothekarinnen Anette Störrle und Susanne Dosch trauen sich mit der Mitarbeiterin Andrea Ehmann auf neues Terrain und setzen ein Exempel: Über ihre "Leihbar" vergeben sie ab sofort neben Büchern auch elektrische Geräte, Werkzeuge, Spielsachen und weitere Alltagsgegenstände.
Artikel vom 08. Oktober 2019 - 17:02
WALDENBUCH. "Letztes Jahr erfuhren wir von der Bibliothek der Dinge und fanden das auf Anhieb gut", erinnert sich die Bibliothekarin Susanne Dosch in der Stadtbücherei auf dem Kalkofen. Die langjährige Mitarbeiterin steht in der hinteren linken Ecke vor zwei Regalen, in denen allerlei Dinge zu sehen sind - nur nicht Bücher.
Stereoanlage, Slackline, Hängematte
Kaum zu übersehen finden sich dort stattdessen Stereoanlage, Slackline, Hängematte, Kindersitze, Schokobrunnen, verschiedene Werkzeuge, Sprach-Lern-Sets und weiteres "Zeugs", wie der Schwabe sagen würde. Alles ordentlich eingeräumt. Und auf jedem der Teile klebt ein Strichcode und gut erkennbar die Bezeichnung. Ein ungewöhnlicher Ort für Alltags-Gegenstände - und trotzdem gehören sie nun zum regulären Sortiment der Stadtbücherei.
Seit Anfang des Monats ist hier in der Forststraße die Leihbar - keine Bar im klassischen Sinn, aber eine in die Bücherei integrierte Ecke, aus der die Waldenbucher nun allerlei Dinge sich borgen statt kaufen können. In der Leihbar ist jeder Gegenstand mietbar. "Es wird Bargeld gespart und der nachhaltige Umgang mit Ressourcen geschult", sagt Bürgermeister Michael Lutz bei der Eröffnung. Die Stadtbücherei ergänzt damit in Waldenbuch anderweitige nachhaltige Angebote, die in den vergangenen zehn Jahren dazukamen, darunter das Repair-Café.
Mithilfe des Repair-Cafés lässt die Bücherei alle elektrischen Geräte vorab gründlich prüfen, bevor sie in der Leihbar landen. Denn bekanntlich gehen Elektrogeräte heute nach einer kürzeren Laufzeit kaputt als früher. Rund 44,7 Millionen Tonnen Elektrogeräte werden jährlich laut Global Waste Bericht 2017 der UN und des Weltwirtschaftsforums weggeschmissen. Selbst wenn, wie im Landkreis Böblingen, die Altgeräte ordnungsgemäß entsorgt und recycelt werden, so erfüllt das immer seltener die Nachhaltigkeitsziele (siehe Infokasten), die die Stadt verfolgt. Und in vielen Fällen werden Sachen nur kurzzeitig gebraucht, beispielsweise zu besonderen Anlässen. "Das Foto-Set und die Sofortbildkamera haben kürzlich ein Hochzeitspaar für ihre Feier ausgeliehen", freut sich die Bibliothekarin.
Woher das Konzept kommt
Der Vorgang ist denkbar einfach: Büchereikunden können die Gegenstände kostenfrei ausleihen, genau wie Bücher. Für NichtKunden ist dasselbe gegen eine Gebühr von fünf Euro machbar. Vorausgesetzt das Mindestalter von 18 Jahren ist erreicht. Online reservieren und leihen die Waldenbucher schon heute ihre Bücher. Ähnlich funktioniert der Vorgang mit der Leihbar, da alle Gegenstände im selben Verleih-System hinterlegt sind. Ein Blick in die Bestandsliste zeigt, dass derzeit vier der fünfzig Gegenstände ausgeliehen sind. Doch irgendwo muss der "Kruscht" doch aufbewahrt werden? "Wir haben einiges im Lager nebenan und im Keller untergebracht", sagt Susanne Dosch. Die Sachen, die nicht in das Regal passen, sind auf Bilder-Karten abgedruckt.
Im angelsächsischen Raum ist die Bibliothek der Dinge besser unter der Bezeichnung "Library of Things" bekannt. Und dazu gehören mehrere Leihläden, abgekürzt "Leilas" in New York, Toronto, Wien und London. In Deutschland gibt es sie in Bochum, Leipzig, Heidelberg, Karlsruhe und Berlin. Seit März 2019 sogar in Stuttgart-West. Nachdem die Bibliothek im Goethe-Institut Bratislava die Bibliothek der Dinge im April 2016 integrierte, werden nach und nach auch hierzulande Einrichtungen auf das Konzept aufmerksam.
Stadtbücherei Waldenbuch nimmt Vorreiterrolle ein
Zwei Büchereien in Süßen und Geislingen an der Steige folgten dem Beispiel. Und doch scheinen der Begriff und der Vorgang in Baden-Württemberg auf Nachfrage bei der Württembergischen Landesbibliothek noch weitgehend unbekannt zu sein.
Die Stadtbücherei Waldenbuch, eine vergleichsweise kleine Einrichtung, nimmt derzeit eine Vorreiter-Rolle im Landkreis Böblingen ein. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Nachfrage innerhalb eines Jahres entwickelt und ob die Stadtgesellschaft das Angebot annimmt.
Hintergrund Initiative „Nachhaltiges Waldenbuch – Ich bin dabei“
■ Ausstellung „Adieu Plastiktüte“
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