Bei dem Zugunglück sind mindestens fünf Menschen getötet worden. Foto: AFP

Schlimme Zugunglücke wie in Bayern sind in Deutschland sehr selten. Das Unfallrisiko im Straßenverkehr ist viel höher.

Wie sicher ist Bahnfahren? Nach dem tragischen Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen sind Menschen verunsichert, zumal solche, die Bahnfahren mit dem 9-Euro-Ticket gerne ausprobieren wollen. Statistiken zeigen: Das Risiko, im deutschen Schienenverkehr verletzt oder gar getötet zu werden, ist für Reisende extrem gering – auf der Straße lauern deutlich größere Gefahren.

Kann sich ein Unglück wie in Bayern wiederholen?

Noch ist die Unfallursache nicht ermittelt. Klar ist: Der doppelstöckige Regionalzug der Deutschen Bahn entgleiste in einer lang gezogenen Kurve, mindestens fünf Personen wurden getötet sowie viele weitere teils schwer verletzt. Gemessen an durchschnittlich 23 500 DB-Zügen, die jeden Tag in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen befördern, sind solche schlimmen Ereignisse extrem selten. In entgleisten Zügen kam hierzulande zwischen 2013 und 2020 kein einziger Reisender ums Leben, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Zwischen 2001 und 2020 gab es vier Tote – also weniger als bei der Havarie in Bayern.

Wie viele Bahnunfälle gibt es überhaupt?

Seit Anfang des Jahrtausends hat sich die Zahl schwerwiegender Bahnunfälle fast halbiert. 2019 wurden 452 Unfälle mit Personenschäden im deutschen Schienenverkehr erfasst. Im Corona-Jahr 2020 waren es 432. Darunter sind jedoch nur sechs Entgleisungen und 15 Zusammenstöße von Zügen, weitere 36 Mal gab es Kollisionen mit Gegenständen. Die große Mehrheit der Unfälle passiert an Bahnübergängen, bei Arbeiten an der Infrastruktur und beim leichtfertigen oder absichtlichen Betreten der Gleise.

Wie groß ist das Risiko, bei einer Bahnfahrt zu Schaden zu kommen?

Extrem gering. Voriges Jahr kamen zwar 160 Menschen im Schienenverkehr ums Leben, 13 mehr als 2019. Darunter waren jedoch nur zwei Reisende und sechs Bahnmitarbeiter, die an Bord von Zügen starben. Alle übrigen Opfer wurden an Bahnübergängen von Zügen erfasst, starben bei Bauarbeiten an Anlagen oder betraten die Gleise unzulässig, häufig zur Selbsttötung. Weitere 486 Personen wurden 2020 verletzt, 76 weniger als im Jahr zuvor. Darunter war kein einziger Fahrgast, an Bord von Zügen wurden 2020 ausschließlich 26 Bedienstete bei Entgleisungen und Kollisionen verletzt.

Wie sehen die Unfallzahlen im Straßenverkehr aus?

Voriges Jahr starben im deutschen Straßenverkehr 2569 Menschen, ein Rückgang um sechs Prozent. Zudem gab es 324 000 Verletzte. Das Risiko, im Autoverkehr ums Leben zu kommen, sei pro Kilometer und Passagier 59-mal höher als bei einer Zugfahrt, errechnete die Allianz pro Schiene auf Basis der Verkehrstoten und Fahrleistung der Jahre 2010 bis 2019. Das Verletzungsrisiko sei für Autofahrer sogar 159-mal höher als auf der Schiene. EU-weit ist demnach die Todesgefahr bei Pkw-Fahrten 30-mal so groß wie bei der Bahn.

Warum ist Schienenverkehr relativ sicher?

Anders als im oft chaotischen Individualverkehr auf der Straße fahren Züge in festen Spuren und hinterm Steuer sitzen nur professionelle Lokführer. Für die Sicherheit sind seit der deutschen Bahnreform und EU-Marktliberalisierung Netzbetreiber und Bahnunternehmen verantwortlich, überwacht durch das Eisenbahnbundesamt (EBA), das Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) unterstellt ist. Zughersteller und Betreiber müssen strenge Sicherheitsvorschriften erfüllen. Bei der Infrastruktur sind automatisierte Sicherungssysteme eingebaut, die Züge abbremsen sollen, wenn sie zu schnell sind, Haltesignale ignoriert werden oder Gegenverkehr droht. Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten von Lokführern, Zugpersonal und Fahrdienstleistern, die Weichen richtig stellen müssen, sind ebenfalls genau reguliert.

Welche Restrisiken bestehen dennoch?

Absolute Sicherheit gibt es nirgends. Menschliches Versagen, zu laxe Kontrollen und Technikmängel führten immer wieder auch in Deutschland zu schweren Unglücken. So starben 2016 im bayerischen Bad Aibling zwölf Menschen und 89 wurden verletzt, als zwei Regionalzüge auf eingleisiger Strecke kollidierten, weil der Fahrdienstleister fahrlässig handelte und die Notfalltechnik Schwächen aufwies. Die ICE-Katastrophe von Eschede wurde 1998 von einem defekten Radreifen ausgelöst, der nie hätte eingebaut werden dürfen. Und auch danach waren große Teile der ICE-Flotte lange mit anfälligen Radwellen unterwegs, bis nach einem glimpflich verlaufenen Bruch die Achsen komplett getauscht werden mussten. Beim ICE 511 wiederum, der im Oktober 2018 bei Dierdorf wegen eines überhitzten Trafos teils ausbrannte, wurden Defizite bei Einbau, Brandschutz und Wartung offenbar.

Wer ermittelt bei schweren Bahnunfällen?

Wenn Personen verletzt oder getötet werden, sind wie in Bayern Staatsanwaltschaft und Bundespolizei vor Ort, um Ursachen und Verantwortung aufzuklären. Auch die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) in Bonn schaltet sich ein mit dem Ziel, Fehlerquellen zu entdecken und abzustellen. Die Unfallberichte der BEU müssen gemäß EU-Vorgaben veröffentlicht werden und zeigen nicht selten deutliche Versäumnisse auf. 2020 wurden 2112 gefährliche Ereignisse erfasst, darunter 1352 Unfälle und 760 Störungen. Als besonders schwere Unglücke mit mindestens einem Toten, fünf Verletzten oder zwei Millionen Euro Sachschaden wurden nur drei Kollisionen und zwei Entgleisungen eingestuft.

Wie kann die Bahn noch sicherer werden?

Die Modernisierung des lange vernachlässigten und teils auf Nebenstrecken völlig veralteten Schienennetzes hat begonnen und kostet viele Milliarden Euro. Besonders digitale Leit- und Sicherungssysteme sollen die Bahn noch sicherer machen, bisher ist hier und da noch Stellwerk-Technik aus der Kaiserzeit im Einsatz. Auch die Zugflotten werden modernisiert und erweitert. Mit einer Personaloffensive stockt der DB-Konzern zudem die Mitarbeiterzahl auf, nachdem besonders Lokführer und Fahrdienstleiter unzumutbare und gefährliche Überlastungen beklagten. Die Kurzausbildungen von Umsteigern sind allerdings umstritten, weil Fehler von unerfahrenen oder überlasteten Schienenlotsen gefährliche Folgen haben können, wie BEU-Unfallberichte zeigen.