Der erfolgsverwöhnte Bayern-Profi Joshua Kimmich erlebt im Nationaltrikot erneut eine Enttäuschung. Foto: dpa/Christian Charisius

Der Nationalspieler Joshua Kimmich offenbart in einer seiner bittersten Stunden als Fußballprofi Einblicke in sein Seelenleben.

Joshua Kimmich ging nach dem Schlusspfiff als erster deutscher Nationalspieler vom Rasen. Mit der ihm eigenen Mischung aus Wut und Trauer marschierte oder besser: stampfte der Mittelfeldmann in die Kabine. Nichts wie weg von dem Platz also, auf dem die DFB-Elf den schlimmsten Sieg ihrer Geschichte einfuhr. Der 4:2-Erfolg im letzten Gruppenspiel auf dem gepflegten Grün der Arena von Al-Khor gegen Costa Rica wurde zur krachenden Pleite – weil er am Ende das nächste blamable WM-Aus in der Vorrunde bedeutete.

„Der schwierigste Tag meiner Karriere“

Inzwischen ist es weit nach Mitternacht, die meisten Kollegen Kimmichs sind in den Katakomben längst aus der Kabine gekommen und in den Mannschaftsbus geflüchtet. Dann kommt Kimmich den schmalen Gang neben den obligaten Werbetafeln entlang – und bleibt stehen. Er hat feuchte Augen, die im Verlauf des Gesprächs nur mühsam dem Druck der Tränen widerstehen können.

Joshua Kimmich ist 27 Jahre alt, er hat die Champions League gewonnen, er holt mit dem FC Bayern jedes Jahr die deutsche Meisterschaft. Jetzt, in einer seiner bittersten Stunden als Fußballprofi, sagt Kimmich mit zitternder Stimme Sätze, die aus tiefem Herzen kommen. „Für mich ist es echt der schwierigste Tag meiner Karriere. Wir haben die WM 2018 vergeigt und 2021 die EM in den Sand gesetzt.“ Vorher, so Kimmich weiter, „war Deutschland immer im Halbfinale, und dann komme ich dazu, und man scheidet zweimal aus“. Das sei für ihn persönlich nicht einfach zu verkraften, sagt Kimmich noch, denn: „Ich werde mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht, und das ist nichts, wofür man stehen möchte.“

Dann spricht Kimmich den schaurig-traurigen Satz dieser deutschen Fußballnacht aus: „Ich habe Angst, dass ich in ein Loch falle.“

Stille in der Runde

Dieser Satz wirkt nach in Kimmichs Auditorium, das in diesem Fall eine Schar von Reportern ist. So mancher hat den berühmten Kloß im Hals. Es kommt erst einmal keine weitere Frage. Es herrscht: Stille. Zu eindrücklich hat da soeben ein junger Mann im besten Fußballeralter sein Seelenleben offenbart.

Kimmich, der mit Abstand ehrgeizigste Nationalspieler, wird also mit Sicherheit am längsten zu knabbern haben an diesem neuerlichen WM-Aus. Wer seine Verhaltensmuster nach vergangenen Enttäuschungen kennt, der ahnt allerdings, dass er nach ein paar Wochen Verarbeiten eher mit noch größerem Willen aus seinem Loch – wenn er denn da wirklich reinfallen sollte – herauskommt. Denn Kimmich zieht in der Regel Kraft und Energie aus Niederlagen, weil er dann wieder ein Ziel vor Augen hat. Nur weiß er das in dieser bitteren nächtlichen Stunde von Al-Khor in diesem Falle wohl selbst noch nicht.

Irgendwann geht es dann doch weiter in der Runde. Weil Kimmich sich fängt – und so mancher Reporter auch. Es kommen wieder Fragen und Antworten, schnell auch zur allgemeinen Lage. „Es ist nicht nur Pech, dass wir hier ausscheiden, sondern auch Unvermögen“, sagt Kimmich dann – und benennt ein Hauptproblem der deutschen Elf bei der Wüsten-WM: „ Ein Gegner muss nicht viel investieren, um gegen uns Tore zu machen. Die Gegentore gegen Japan und Costa Rica, das ist für mich sinnbildlich.“

Auch Rüdiger findet klare Worte

Zum Ende der Runde macht Kimmich dann klar, dass er endgültig genug hat von dieser Weltmeisterschaft. Er will sich nun keine Partien mehr anschauen: „Es ist wie Aufkratzen von einer Wunde, wenn ich Spiele gucke. Ich tue mir damit keinen Gefallen.“ Sagt es und geht raus zum Bus. Seine Stimme immerhin ist da schon nicht mehr brüchig – sondern fest.

Kimmich war in dieser Nacht nicht der einzige Nationalspieler, der den berühmten Finger in die Wunde legte. Auch der Abwehrchef Antonio Rüdiger fand nach dem Aus klare Worte: „Die letzte Gier, dieses etwas Dreckige, das fehlt uns“, sagte der Profi von Real Madrid: „Viel Talent, alles schön und gut. Aber da gehört mehr dazu als einfach nur Talent.“ Es wird wohl keinen Experten geben, der Rüdiger da mit Vehemenz widerspricht.

Taktik statt Technik

Dass auch fußballspezifisch einiges im Argen liegt, war bei dieser WM wieder zu sehen und lässt mit Blick auf die Heim-Europameisterschaft in eineinhalb Jahren wenig Gutes erhoffen. Es sind die altbekannten Probleme, die den Deutschen Fußball-Bund (DFB) umtreiben und die er verändern will. So fehlt es an technisch und taktisch gut ausgebildeten Außenverteidigern, an klassischen Vollstreckern im Sturm – und bei den meisten jungen Kickern an der Straßenfußballermentalität. Denn die Taktik war im Training jahrelang wichtiger als die Technik – die Quittung dafür gibt es seit Jahren bei großen Turnieren.

Da trifft es sich gut, dass in Jamal Musiala und Florian Wirtz immerhin zwei junge Hochbegabte für die EM bereitstehen. Ob ihre Fähigkeiten ausreichen werden für ein starkes Heimturnier 2024 – das ist offener denn je.