Bernd Althusmann (links) und Stephan Weil bei einem Fernsehauftritt. Foto: dpa/Christian Charisius

Der Landtagswahlkampf in Niedersachsens ist von der Bundespolitik geprägt. Die CDU mit Bernd Althusmann wittert ihre Chance in den Schwächen der Ampel-Regierung – doch der amtierende SPD-Ministerpräsident Stephan Weil hat Trümpfe im Ärmel und setzt auf neue Partner.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (63) war mal Amtsrichter und Oberbürgermeister von Hannover, eine gewisse Volksnähe hat er sich da angeeignet und die Gabe, etwas heikle Bürgerbegegnungen zu meistern: Ein sonniger, aber schon kalter Septembertag in Bad Salzdetfurth, die Bergmannskapelle spielt, der Marktplatz ist voll mit 150 Leuten, die Bratwurst essen vor roter Kulisse bei der Wahlkampfveranstaltung „Auf ein Wort mit Stephan Weil“, die den seit 2013 amtierenden Landesvater von einer Kleinstadt in die andere führt.

Bei der Aussprache erhebt sich ein baumlanger Mensch in kurzen Hosen, tritt dicht an Weil heran – die Sicherheitsbeamten heben schon die Augenbrauen –, und der Mann klagt über die Coronapolitik: Seit 30 Jahren arbeite seine Frau an der Kasse im Supermarkt, auch in der Coronazeit, Tausende von Kunden seien an ihr vorbeigelaufen, nie habe sie Corona bekommen, was denn der Unsinn mit dem Impfen solle? Was folgt, ist ein typischer Weil: Der erklärt, dass das Impfen Millionen von Menschenleben gerettet habe, schaut dem Mann fest in die Augen und sagt: „Solch einer robusten Frau kann man nur gratulieren“, hält inne und ergänzt: „Nicht nur Ihrer Frau kann man gratulieren, sondern Ihnen auch.“ Das Publikum hat jetzt den Anstand, nicht laut zu johlen, aber der Punkt ist bei Weil und die Sympathie auch.

Das alles überschattende Thema sind die Energiepreis

Doch Corona ist nicht das Thema in diesem Wahlkampf, der zur Landtagswahl am 9. Oktober enden wird. Es geht ein bisschen um die Pflege, den Ärztemangel auf dem Land, das mittelmäßige Schulniveau. Das alles überschattende Thema aber sind die hohen Energiepreise, alle Kandidaten bemühen sich, ständig neue Antworten zu finden und – je nach Lager – die Bundespolitik zu erklären oder zu verdammen. In Bad Salzdetfurth haben die Bürger ihre Sorgen auf Bierdeckel geschrieben, sie werden laut verlesen: „Ich habe heute Morgen für 140 Euro getankt – wo soll das hinführen?“, fragt einer.

Stephan Weil verteidigt den Ampelkurs: Die Entlastungspakete „helfen echt weiter“. Er sagt den Leuten, dass der Staat sich jetzt bewähren und „an der Seite der Bürger“ stehen müsse. Und wenn die konservativen Tories in Großbritannien 150 Milliarden Pfund für Preisgarantien für Energie ausgäben, könne Deutschland Ähnliches. In der Energiedebatte steht die SPD unter Druck – aber punktuell weiß sich Weil zu wehren. Als Bayerns Ministerpräsident Söder vorschlug, man könne doch in Niedersachsen mit dem Fracking anfangen, der umstrittenen Gasförderung aus dem Erdreich, da keilte Weil zurück: „Geht’s noch? Lieber Markus Söder, wie wäre es mal mit Windkraft in Bayern?“

Mit einer rot-grünen Koalition war Weil 2013 gestartet

Mit einer rot-grünen Koalition war Weil 2013 gestartet, nach einem Fraktionsübertritt der Grünen zur CDU und dem Verlust der knappen Mehrheit im Landtag kam es 2017 zu Neuwahlen und einer rot-schwarzen Koalition. Darin ist der Christdemokrat Bernd Althusmann (55) – einst Kultusminister unter Christian Wulf – Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister und nun der mächtige Gegenspieler zu Weil.

Der „Panzer“ wird Althusmann – einst Hauptmann der Reserve bei der Bundeswehr – von Freunden genannt, und bei einem Auftritt in einem Autohaus in Seevetal mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst stellt Althusmann mit sonorer Stimme und lebendiger Rede den Ehrengast ziemlich in den Schatten. Inhaltlich verzichtet er auf Landesspolitisches, er feuerte Breitseiten auf die „chaotische Ampelregierung“, in der gezögert und gezaudert werde, dass nun die Energiepreise das größte Problem der Menschen seien, liege auch an mangelnder Führung in Berlin. Mit einem eigenen Energiekonzept – der Reaktivierung von Stein- und Braunkohlekraftwerken sowie einem Preisdeckel für Strom und Gas – will Althusmann punkten. Man müsse die Reserve haben: „Wir müssen jede Kilowattstunde auf den Markt bringen!“ Den großen Schub aber erwartet die CDU vom „Schreckgespenst“ Ampel. Wer in Niedersachsen die SPD wähle, der bekomme Rot-Grün oder die Ampel, warnt Althusmann: „Der wählt auch Scholz, Esken, Kühnert, Habeck und Baerbock!“

Ein grüner Landwirtschaftsminister taugt als Schreckbild

Ausgeschlossen sei auch nicht, dass der grüne Spitzenkandidat Christian Meyer wieder Landwirtschaftsminister werde – das wäre ein Schock zumindest für konventionelle Großbauern, für die derzeit die CDU-Ministerin und Hofinhaberin Barbara Otte-Kinast zuständig ist, von der die Landwirte selbst sagen, „das ist eine von uns“. Vor allem der Weiterbetrieb auch des Atomkraftwerks Lingen im Emsland gehört zu den Kernforderungen der CDU.

Unverblümt wird bei der CDU auf den Rückenwind der Bundespolitik gesetzt. Der CDU-Landtagsabgeordnete André Bock sagt beispielsweise offen: „Der Protest gegen die Ampel ist immens, das ist unsere Chance.“ So hohe Popularitätswerte wie Weil scheint Althusmann allerdings nicht zu haben – wie die jüngste Umfrage zeigt, bei der die SPD sogar leicht zulegte. Als sich in Hannover 2000 Bäcker vor dem Rathaus zum Protest versammelten und die Landespolitiker reden durften, da war der Ministerpräsident bei seinem Bühnenauftritt mit wohlwollendem Applaus begrüßt worden, aber als der Wirtschaftsminister kam, rührte sich keine Hand.

Althusmann leistet sich Ungeschicklichkeiten

Es mag an manchen Ungeschicklichkeiten liegen, so will Althusmann die CDU zur stärksten Kraft machen und spekuliert öffentlich, wie es sein werde, wenn er regiere. Im Autohaus von Seevetal, wo Althusmann bei der letzten Wahl das Direktmandat holte, malte sich der Kandidat den Ort schon als Art Regierungszentrale aus: „Hier vom Norden aus werden wir das ganze Land im Blick haben, bis nach Lüchow-Dannenberg, in die Grafschaft Bentheim und den Südharz.“ So etwas zündet im Publikum nicht besonders.

Nach einem Vortrag über den Ausbau der Bahnlinie Hamburg–Hannover und Kritik an Umplanungen der Bahn musste sich Althusmann gar einen Zwischenruf gefallen lassen: „Ob ich 15 Minuten schneller in Hannover bin, ist egal. Wer will schon in Hannover sein?“ Seevetal grenzt direkt an Hamburg.

Die Genossen um Stefan Weil freuen sich, dass die Landes-SPD nicht in den bundesweiten Abwärtsstrudel der SPD geraten ist. Der Ministerpräsident hat erkennen lassen, dass er mit der CDU nicht weiter regieren möchte und Rot-Grün den Vorzug gebe. Er sei mit Althusmann „ganz gut“ ausgekommen, aber die Unterschiede zur CDU seien gerade in der Investitionspolitik und beim Thema Schuldenbremse immer deutlicher geworden, sagt Weil. Selbst, wenn die SPD auf Platz zwei fiele, ist die Wahrscheinlichkeit der Gründung von Rot-Grün oder einer Ampel hoch. Ein Wechsel zu Schwarz-Grün findet bei den links tickenden Grünen in Hannover wenig Gegenliebe: „Die CDU ist hier eine harte Nummer, mit der geht die Agrarwende nicht, kein Tempolimit und keine Solarpflicht. Die Inklusion will sie zurückdrehen“, sagt ein Grünen-Kandidat. Gut möglich, dass Stephan Weil im Amt bleibt.