Emmanuel Macron hat die Präsidentenwahl in Frankreich deutlich gewonnen. Doch ein fader Beigeschmack bleibt. Foto: IMAGO/Xinhua/IMAGO/Angelini Hans

Die Niederlage Marine Le Pens wird bei der Europäischen Union mit kaum verhohlener Freude aufgenommen. Doch auch mit Emmanuel Macron wird die Zusammenarbeit nicht einfach werden.

Erleichtertes Aufatmen in Brüssel. Emmanuel Macron hat die Präsidentenwahl in Frankreich für sich entschieden. Niemand wollte sich ausmalen, was ein Sieg Marine Le Pens für die Europäische Union bedeutet hätte. Einig war man sich in der Einschätzung, dass die EU seit ihrer Gründung schon sehr viele Krisen durchlebt hat, diese hätte sie womöglich aber nicht überstanden.

Macron wird überhäuft mit Glückwünschen

Charles Michel scheint ein zentnerschwerer Stein vom Herzen gefallen zu sein. Der Präsident des Europäischen Rats gratulierte nur wenige Sekunden nach Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses. „In dieser unruhigen Zeit brauchen wir ein stabiles Europa und ein Frankreich, das sich für eine souveräne Europäische Union engagiert“, schrieb er auf Twitter. Auch Charles Michels Vorgänger beeilte sich mit den Glückwünschen. „Mit Ihrem Sieg wird es mehr Europa in Europa geben. Und weniger Russland“, twitterte der Pole Donald Tusk mit dem kaum versteckten Hinweis auf die engen Verbindungen von Marine Le Pen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Der Sieg Macrons ist das bessere Ergebnis für Europa“, kommentiert der deutsche Europaabgeordnete Daniel Freund das Ergebnis. „Europa ist stärker als die Populisten“, ergänzt der Grünen-Politiker.

Bald könnte Ernüchterung folgen

In Brüssel dürfte nach der großen Erleichterung sehr bald allerdings Ernüchterung folgen. Ein Grund dafür ist, dass sich der alte und bald neue Staatschef Frankreichs in der Öffentlichkeit gern als mustergültiger Proeuropäer und Visionär präsentiert, hinter den Kulissen aber rücksichtslos Interessenpolitik für sich und sein Land betreibt.

Den Grund für seinen Ruf als glühender Freund Europas hat der 44-Jährige mit seiner leidenschaftlichen Rede an der Pariser Universität Sorbonne bereits im Jahr 2017 gelegt. Gerade einmal vier Monate im Amt formulierte er damals die Ideen, die nach der Krise mit den USA während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump inzwischen fast als visionär gelten. „Unser Ziel muss darin bestehen, dass Europa ergänzend zur Nato selbstständig handlungsfähig ist“, betonte Macron damals. Ein „Europa der Verteidigung“ brauche eine „gemeinsame strategische Kultur, einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt, (. . .) und eine gemeinsame Handlungsdoktrin“.

Macron prescht gerne nach vorne

Dass er mit seiner Rede ohne Absprachen mit den anderen EU-Mitgliedern politisch vorpreschte, wird dem Präsidenten vor allem in Berlin übelgenommen. Zum Zeitpunkt der Rede war Deutschland durch die stockenden Koalitionsverhandlungen politisch praktisch paralysiert. Eine Reaktion auf Macrons Vorschläge blieben deshalb erst einmal aus, Berlin musste sich Spott über sich ergehen lassen.

Passiert ist nach der fulminanten Sorbonne-Rede allerdings wenig. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine kamen Macrons Ideen dann sehr schnell wieder auf die Tagesordnung. Mehr noch, inzwischen werden sie von zahlreichen europäischen Staats- und Regierungschefs unterstützt und auch innerhalb der EU vorangetrieben.

Neues Sicherheitskonzept der EU

Bereits in den kommenden Monaten soll der sogenannte Strategische Kompass beschlossen werden. Dabei handelt es sich um ein Strategiepapier, das die Leitlinien der EU-Verteidigungs- und Sicherheitspolitik für die nächsten zehn Jahre festlegt. Geplant ist bis Juni eine gemeinsame Erklärung von EU und Nato, in der die ergänzenden Rollen der beiden Organisationen neu abgesteckt werden. Und schließlich will die EU eine Einsatzgruppe mit 5000 Soldaten gründen. All dies geht in die Richtung, die Macron schon zu Beginn seines ersten Mandats eingeschlagen hatte – und in einem zweiten Mandat sicher verstärkt weiterverfolgen wird.

Macron tritt auch auf die Bremse

Doch Macron ist in Sachen Europa nicht immer nur Antreiber. Wenn es nicht in seine politische Agenda passt, erweist er sich auch schnell als Blockierer. So wird Macron beispielsweise vorgehalten, bei der geplanten EU-Erweiterung auf dem Westbalkan vor allem aus Sorge vor Widerständen aus der eigenen Bevölkerung auf der Bremse zu stehen. Zu hören ist auch die Klage, dass er europäische Souveränität in erster Linie zugunsten der französischen Industrie anstrebt und aus wahltaktischen Gründen Verhandlungen über wichtige Klimaschutzvorschläge verzögert.

Nach dem Sieg Macrons dürfte es in den nächsten Monaten vor allem auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich überaus interessant werden. Er und seine Regierung haben zuletzt immer wieder betont, dass sie die strengen europäischen Fiskalregeln als überholt ansehen und sich weitere schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme nach dem Vorbild des Corona-Hilfspakets vorstellen können. Mit der bisherigen Positionierung der Regierung in Berlin sind diese Positionen nicht wirklich vereinbar.

Auf Berlin kommen schwierige Zeiten zu

Für die Ampel-Koalition gilt es dann zu beweisen, dass nicht jeder neue politische Wettstreit auf EU-Ebene so ausgeht wie der um die EU-Einstufung von Atomkraft als klimafreundliche Energiequelle. In dieser Auseinandersetzung hatte sich Frankreich zuletzt mit einer kompromisslosen Haltung klar gegen Deutschland durchgesetzt und erreicht, dass Entwickler von neuen AKW-Projekten auf eine günstige Finanzierung hoffen können.

Zupass kommt dem französischen Präsidenten bei seinen Ambitionen, dass sich nach dem Abgang von Angela Merkel in Sachen europäischer Führung eine Art Machtvakuum aufgetan hat, das der deutsche Kanzler Olaf Scholz nicht füllen will oder kann. Der selbst- und machtbewusste Emmanuel Macron hat keine Sekunde gezögert, diese Leerstelle zu besetzen.