Die „Washington Post“ gibt es seit 1877. Foto: IMAGO/Panthermedia/monticello

Die „Washington Post“ bricht mit einer Tradition und gibt in diesem Wahlkampf keine Empfehlung ab. Die Leserschaft ist auf den Barrikaden. Der Eigentümer Jeff Bezos erklärt sich.

„Democracy Dies ins Darkness“ steht unter dem Titel der „Washington Post“. Demokratie stirbt in der Dunkelheit. In der Zeitung ist man stolz darauf, dass es in den 1970er Jahren zwei Journalisten der „Post“ waren, die den Watergate-Skandal aufgedeckt haben. Carl Bernstein und Bob Woodward. Woodward, inzwischen 81 Jahre alt, hat vor wenigen Tagen ein neues Buch veröffentlicht: „War“, Krieg, in dem der legendäre Reporter unter anderem berichtet, Donald Trump habe dem russischen Machthaber Wladimir Putin in der Coronakrise Covid-Tests in den Kreml geschickt.

Ausgerechnet diese „Washington Post“ spricht in diesem US-Präsidentschaftswahlkampf erstmals keine Wahlempfehlung aus. Der Aufschrei ist gewaltig, die Leserschaft auf den Barrikaden: Am Montag berichtete der US-Sender „NPR“ in Berufung auf zwei anonyme Quellen, dass die Zeitung seit der Ankündigung 200.000 Digitalabonnenten verloren habe. In den sozialen Netzwerken posteten User einen Screenshot ihrer Abmeldemaske.

Schnell machte auch ein Meme die Runde: Der Titel der „Washington Post“ – und darunter: „Hello Darkness My Old Friend“. Andere schrieben einfach ein „Where“ vor „Democracy Dies in Darkness“.

„Post“-Eigentümer Jeff Bezos versuchte am Montag, sich zu erklären: Beim Verzicht auf die Wahlempfehlung handele es sich um eine „prinzipielle Entscheidung“, schrieb der Milliardär und Amazon-Gründer am Montag auf der Webseite der Zeitung. Weil das Vertrauen in die Medien rapide sinke, müsse etwas unternommen werden, um dem Vorwurf der Parteilichkeit entgegenzutreten. Was eine Wahlempfehlung „tatsächlich bewirkt, ist der Eindruck der Voreingenommenheit“, schrieb Bezos. „Eine Wahrnehmung von Nicht-Unabhängigkeit. Sie abzuschaffen ist eine prinzipielle Entscheidung.“

In den vergangenen Jahrzehnten hatte die „Washington Post“ meistens Wahlempfehlungen ausgesprochen - und wenn sie dies tat, dann grundsätzlich für die Kandidaten der Demokratischen Partei. Für deren diesjährige Kandidatin Kamala Harris bleibt die Unterstützung der Hauptstadtzeitung somit erstmals aus. Zuvor hatte sich mit der „Los Angeles Times“ eine weitere große US-Zeitung einer Wahlempfehlung enthalten.

Dass er die Entscheidung zu seinem persönlichen Vorteil getroffen habe oder aus Angst vor der Rache eines vielleicht künftigen Präsidenten Trump – diesen Vorwurf wies Bezos zurück. „Ich möchte auch klarstellen, dass hier keinerlei Gegenleistung im Spiel ist“, schrieb der Milliardär. „Weder die Kampagnen noch die Kandidaten wurden auf irgendeiner Ebene oder in irgendeiner Weise über diese Entscheidung konsultiert oder informiert.“

Die Reporterlegenden Woodward und Bernstein kritisierten in einem gemeinsamen Statement das Vorgehen des Blattes: „Diese Entscheidung, elf Tage vor der Wahl, ignoriert die eigene Berichterstattung der ‚Washington Post’, die den Beweis erbringt, dass Donald Trump eine Gefahr für die Demokratie darstellt.“ Die beiden Journalisten nannten die Entscheidung gegen die Wahlempfehlung „überraschend und enttäuschend.“

Trump und Harris liefern sich in den Umfragen zur Wahl am 5. November ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Ausgang der Wahl gilt als richtungsweisend für die Zukunft der US-Demokratie.