Gemeinsam auf der Regierungsbank im Bundestag: Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Mit dem Parteienforscher Ulrich von Alemann haben wir über das komplizierte Regieren in Dreierbündnissen wie der Ampel gesprochen. Der Politikwissenschaftler erklärt: Kanzler Olaf Scholz müsse „unsichtbar“ führen.

Der Parteienforscher Ulrich von Alemann, emeritierter Professor für Politik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, lobt Olaf Scholz für die jüngste Zusammenarbeit mit der FDP.

Herr von Alemann, die Gewerkschaften haben Kanzler Olaf Scholz gerade aufgefordert, bei der Kindergrundsicherung Farbe zu bekennen. Wie viel Machtwort ist in der Ampel möglich?

Das Machtwort ist die Ausnahme. Der Streit um die beste Lösung ist der Alltag. Streit gibt es in der Familie, Streit gibt es auch sonst in der Gesellschaft – und Streit ist das Lebenselixier der Demokratie. In der Ampel stehen alle drei Parteien miteinander im Wettbewerb. Jede einzelne muss ihr Gesicht wahren können. Da muss eine Lösung, mit der alle leben können, gefunden werden.

Das klingt, als wäre der fast 30 Stunden lange Koalitionsausschuss, den wir gerade erlebt haben, nicht der letzte dieser Art gewesen. Oder?

Ein solcher Koalitionsausschuss kann immer wieder passieren. Vielleicht dauert es auch noch einmal länger. Ich finde das auch gar nicht schlimm.

Tatsächlich? Auf viele Menschen wirkte der scheinbar unendliche Koalitionsausschuss lähmend und abschreckend.

Sich Zeit zu nehmen, um friedlich – ohne mit Aktenordnern zu werfen – einen Kompromiss zu erarbeiten, ist viel besser, als ein Machtwort zu sprechen. Mit dem berühmten Machtwort von Gerhard Schröder als Kanzler können Sie eine Koalition wie die Ampel nicht erfolgreich führen. Die Basta-Zeiten sind endgültig vorbei. In der Ampel gibt es drei selbstbewusste Partner, bei denen nicht eine Partei die beiden anderen dominieren kann.

Was bedeutet das?

Der Kanzler ist als Moderator gefragt. Moderation ist alles andere als einfach. Der Moderator kann viel zu viel reden – den Fehler machen manche. Oder er kann zu wenig reden. Ein kluger Kanzler muss in einer Dreierkonstellation führen, aber er muss unsichtbar führen. Diese Art der Führung gehört zur DNA eines lagerübergreifenden Dreierbündnisses wie der Ampel. Olaf Scholz setzt hier aber auch auf einen Stil, wie er ihn im Kabinett von Angela Merkel selbst erlebt hat. Eigentlich ist das gar nicht so neu.

Wann muss der Kanzler trotz alledem über seine Rolle als Moderator hinauswachsen?

Wenn sich in einem Dreikampf – ich sage es mal drastisch – die Hunde ineinander verbeißen, muss der Kanzler auch mal ein Machtwort sprechen. Das hat Scholz getan, als er im Streit über die Atomlaufzeiten von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat. Nur: Auch dieses Machtwort war ein Kompromiss. Scholz hat sich nicht auf eine Seite geschlagen, sondern sich in der Mitte zwischen Grünen und FDP positioniert.

Beim letzten Koalitionsausschuss hatten viele den Eindruck, Scholz habe gemeinsame Sache mit der FDP gemacht.

Das hat er – und das ist auch gut so. Die Ampel galt doch vielen als Rot-Grün plus FDP. Und oft ist das ja auch so. Eine Dreierkonstellation kann dann gut funktionieren, wenn sich die größte Partei mal mit den einen und dann wieder mit den anderen verbündet. Wenn es zu einseitig wird, dann kann eine solche Koalition auseinanderbrechen. Die Ampel ist anders. Deshalb bin ich auch sicher, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode hält

War es also vor allem ein taktisches Manöver, dass Scholz die Grünen im Streit über Klimapolitik an der Seite der FDP ausgebremst hat?

Nein. Die SPD hat viele Schnittmengen mit den Grünen. Sie hat aber auch Schnittmengen mit der FDP. Der Kanzler greift auch die Tradition der sozialliberalen Koalition auf. In der Wirtschaftspolitik hat Scholz Interessen, die teils eher von der FDP als von den Grünen geteilt werden.

Scholz und FDP-Chef Christian Lindner haben Prokura in ihren Parteien, Robert Habeck bei den Grünen nicht. Ein Problem?

Es macht das Regieren nicht leichter. Die Grünen haben kein klares Machtzentrum. Robert Habeck und Annalena Baerbock konkurrieren um die nächste Kanzlerkandidatur. Es gibt zusätzlich je zwei Personen an der Partei- und an der Fraktionsspitze. Das Machtgefüge der Grünen ist kompliziert.

Tragen SPD, Grüne und FDP in der Ampel für die Gesellschaft Konflikte aus, die früher innerhalb von Volksparteien geklärt wurden?

Das ist definitiv der Fall. Gestritten wird immer. Wenn sie in Länder wie Großbritannien oder die USA schauen, in denen in der Regel nur eine Partei regiert, sehen sie: Der Streit findet dann eben innerhalb der einen Partei statt. Da muss eine Koalitionsregierung mit Vertrag und Formalien nicht schlechter sein. Auch wenn es immer häufiger drei Parteien sind und nicht nur zwei.

Das Gespräch führte Tobias Peter.