„Deutschland hat dazu beigetragen, die Macht von Russland aufzubauen“, kritisiert der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Foto: AFP/STRINGER

Ein ukrainischer Außenminister, der Deutschland scharf angreift, ein deutscher Wirtschaftsminister, der Deutschland in der Ukraine-Krise verteidigt – der Krieg setzt allen Gesprächspartnern bei der ARD-Talkerin Anne Will zu.

Fast wünscht man sich die wöchentlichen Corona-Runden zurück, als es „nur“ um die Frage ging, ob Schulkinder noch Masken tragen sollten im Unterricht oder nicht. Beim ARD-Talk von Anne Will am Sonntagabend war zu beobachten, wie hautnahe der Ukraine-Krieg uns ist – und wie nahe er denen geht, die im Moment Verantwortung tragen. Zu Gast waren der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter, die Politologin Claudia Major und die ukrainische Schriftstellerin und Journalistin Katja Petrowskaja. Der ukrainische Außenminister, der wie der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) per Video zugeschaltet war, machte Deutschland schwere Vorwürfe.

„Sie, Deutschland, haben dazu beigetragen, die Macht von Russland aufzubauen“, sagte Außenminister Dmytro Kuleba. „Bosch hat jahrelang die Instrumente geliefert, damit Russland uns bombardieren kann.“ Kuleba stellte drei Forderungen: „Geben Sie uns alle Waffen, um unser Land zu verteidigen.“ Außerdem „möchte ich Deutschland führen sehen“, statt im Bremserhäuschen sitzend, was weitergehende Sanktionen – etwa bei Swift oder bei einem Öl- oder Gasembargo – angehe. „Das russische Gas riecht nach Blut“, so Kuleba. Warum das nicht boykottiert werde? Dazu höre er von anderen Staaten immer nur, „wir machen das wegen Deutschland nicht“.

„Stoppen Sie Putin“

Und schließlich müsse die Ukraine EU-Mitglied werden. „Wir erwarten, dass Deutschland das unterstützt. Mit der Ukraine wird Europa sicherer sein.“ Sein Land sei zu Gesprächen mit Putin bereit. Russland müsse aber die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine respektieren. Deutschland solle zugeben, dass es einen Fehler gemacht habe. „Stoppen Sie Putin“, appellierte Kuleba, „die Ukraine ist nicht das letzte Ziel.“

Unterstützung bekam er von der ukrainischen Autorin Katja Petrowskaja. Es gehe um Menschenleben. „Was ist wichtiger? Die Spritpreise?“ Wladimir Putin „versteht nur Stärke“, sagte sie. Nur Waffenlieferungen an die Ukraine und ein sofortiges Embargo könnten den russischen Präsidenten stoppen; die Ukraine sei nur „ein Vorposten Europas“.

Habeck: „Es ist ein Elend das zuzugeben.“

Am Anerkennen von Fehlern haperte es nicht. „Es ist ein Elend das zuzugeben“, sagte ein sichtlich angefasster und müder Robert Habeck (Grüne). „Wir haben uns in diese Abhängigkeit von Russlands Gas und Kohle hineinmanövriert.“ Das sei „moralisch nicht schön“. Man arbeite „Tag und Nacht“ daran, diese Abhängigkeit zu lösen. Beim Öl „werden wir es Ende des Jahres geschafft haben“, so der Bundeswirtschaftsminister. „Es ist nicht klug, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt“, begründete Habeck Deutschlands Nein zu einem Embargo. Deutschland tue, was es verantworten könne.

Aber wenn Menschen hierzulande nicht mehr heizen könnten, „das muss man sehen.“ Und „wir dürfen auf keinen Fall Putin den Triumph geben, dass wir Maßnahmen zurücknehmen müssen, weil wir sie nicht durchstehen“. Ein Embargo „schaffen wir nicht.“ Und wenn eine Zeitung – wie die „Bild“ – einerseits ein Sofort-Embargo fordere, andererseits hohe Spritpreise beklage, dann sei das „mindestens anspruchsvoll.“

Major: Helfen wir oder machen wir die Katastrophe noch größer?

Deutschland liefere auch „Waffen mit Durchschlagskraft“ in die Ukraine, aber keine schweren Panzer: „Wir dürfen uns nicht von emotionalen Bildern leiten lassen. Wir wollen keine Konfrontation mit der Nato riskieren“, erklärte Habeck. „Die Nato als Kriegsakteur, das ist nicht vorstellbar“, betonte auch der SPD-Chef Lars Klingbeil: Sonst marschiere man direkt in den dritten Weltkrieg.

Die Politologin Claudia Major sagte, sie könne die Forderungen etwa nach einem Durchsetzen einer Flugverbotszone oder nach Sofortembargos zwar nachvollziehen. Die Frage sei aber: „Helfen wir mehr oder ist die Katastrophe wirtschaftlich und sicherheitspolitisch noch größer?“ Die bisher geschnürten Sanktionspakete seien beachtlich, „ich hätte das nicht für möglich gehalten“, Russland befinde sich damit praktisch auf einer Ebene mit Nordkorea. „Das wird sich bemerkbar machen.“

Kiesewetter: Putin hat Angst

Roderich Kiesewetter forderte, der Gaspipeline Nord Stream 1 vom russischen Wyborg nach Greifswald sofort den Hahn zuzudrehen. Die geplante neue Leitung Nord Stream 2 hat die Bundesregierung bekanntlich bereits auf Eis gelegt. Putin sei in einer schwierigen Lage. Trotz Zensur, obwohl bereits Zehntausende wegen ihrer Proteste in Haft seien, gelinge es ihm nicht, die Informationen über den Krieg zu stoppen. „Er wird nachgeben müssen“, glaubt Kiesewetter: Putin habe „Angst vor Frieden und Freiheit.“