Anne Will ist ihr Talk dieses Mal ein bisschen entglitten (Archivbild). Foto: obs/Wolfgang Borrs

„Was ist uns der Klimaschutz wert?“ – das diskutierte Anne Will in ihrem ARD-Sonntagabendtalk mit ihren Gästen. Die Damen und Herren waren etwas gereizt. Nur zwei hatten sich richtig lieb.

Stuttgart - Bei diesem Vorgespräch wäre man gerne Mäuschen gewesen. Bei Anne Will sind am Sonntagabend alle von Anfang an mit Puls in das wöchentliche ARD-Plauderstündchen gestartet: Die Journalistin Cerstin Gammelin von der „Süddeutschen Zeitung“, der FDP-Parteichef Christian Lindner, der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, die SPD-Chefin Saskia Esken, der hessische Ministerpräsident und CDU-Vize Volker Bouffier und nicht zu vergessen die Moderatorin selbst.

Mit dieser Runde wollte die Sonntagabend-Talkerin über das wichtigste Wahlkampfthema diskutieren: „Eine Woche vor der Wahl – Was ist uns der Klimaschutz werden?“ lautete der Titel ihrer Sendung. Nachdem sie erst vorige Woche das Triell der drei Spitzenkandidaten zum Thema gemacht hatte, konnte sie nicht erneut Parteifreunde von Baerbock, Laschet und Scholz befragen, wie sich ihre jeweiligen Kandidaten denn geschlagen hätten.

Will wirkte von Anfang an gereizt

Anne Will wirkte schon gereizt, kaum dass ihr erster Gast zu sprechen begonnen hatte. Lindner maulte, man möge ihn doch „eiiiinmal“ endlich seinen Punkt machen lassen. Bouffier nörgelte, Anne Will höre nicht zu. Die Moderatorin hielt dem Ministerpräsidenten vor, er sei unfair, weil der Mann mit der sonoren Stimme milde lächelnd einfach immer weiterredete und so dafür sorgte, dass Saskia Esken im Vergleich kaum zu Wort kam. Habeck fragte in das Redewirrwarr hinein, ob er mit seiner Antwort warten solle, bis seine Mitdiskutanten fertig seien mit dem Durcheinanderquatschen. Am Ende musste Anne Will direkt abgeben an die Tagesthemen, ohne Schlusswort, ohne Dank an die Gäste – irgendwie war man froh, dass es nun endlich rum war.

Lindner sucht die Gemeinsamkeiten mit den Grünen

Nur Christian Lindner und Habeck, die hatten sich auffällig lieb. Der FDP-Chef setzt auf den Erfindergeist hierzulande. Das „Land der Ingenieure und Techniker“ sollte es schaffen, Freiheit, Wohlstand und Klimaschutz zu verbinden. Die Politik müsse Rahmenbedingungen setzen, aber auf welchem Wege die darin formulierten Ziele erreicht würden, da „sollten wir denen Vertrauen schenken, die wissen, was technisch möglich ist“, so Lindner.

Was also etwa von Batterien, synthetischen Kraftstoffen oder Wasserstoff-Brennzellen die beste Antriebstechnik sei, das will Lindner als Politiker nicht entscheiden, „das würde ich anderen überlassen“. Davon könnten auch andere Orte auf der Welt profitieren, weil er ihnen einen „decarbonisierten Fortschritt“ ermöglichen würde.

Habeck: Mir sind die Ziele zu lasch

„Mir ist der ordnungspolitische Rahmen zu lasch“, entgegnete Robert Habeck. Deutschland habe 19 Jahre Zeit, klimaneutral zu werden. Das sei rechnerisch nicht möglich, wenn man zum Beispiel an den Verbrennermotoren festhalte und erst 2038 aus der Verstromung von Kohle aussteige. „Wir brauchen entsprechende Zielsetzungen“ – etwa das Verbot von Neuzulassungen von Verbrennermotoren ab 2030 und einen vorgezogen Ausstieg aus der Kohle. „Da wären wir mal zusammen“, betonte Lindner: Die Verstromung von Braunkohle sei für Unternehmen ohnehin nicht mehr rentabel, insofern brauche man Windkraftwerke vor der Küste, damit Kraftwerksbetreiber aus der Braunkohle aussteigen könnten, ohne Ersatz zu fordern.

Wenn die Grünen es ernst meinten mit dem Klimaschutz: Müssten dann im Zweifel nicht dieses Mal sie bei – nicht unwahrscheinlichen – Koalitionsverhandlungen mit den Liberalen die Gespräche platzen lassen, weil sie lieber nicht regieren wollten als falsch, wollte Will von Habeck in Anspielung auf Linders Ausstieg aus den Koalitionsgesprächen 2017 wissen. „Wir können keine Koalition eingehen, die nicht den Weg des Parispfads beschreitet“, betonte Habeck. „Die Parisziele wollen wir auch erreichen“, warf Lindner ein. So viel Gemeinsamkeit war selten.

Esken: Der Kohleausstieg muss vorbereitet werden

Saskia Esken spielte da nicht mit. Für den Kohleausstieg müsse der dafür notwendige Strukturwandel organisiert werden. Das brauche Zeit. Allein die chemische Industrie benötige so viel Strom, wie Deutschland aktuell insgesamt verbraucht, um tatsächlich klimaneutral produzieren zu können. „Diesen Strombedarf müssen wir erst einmal decken“ – und dabei Länder wie Baden-Württemberg oder Hessen fragen, warum sie beispielsweise beim Ausbau der Windenergie nicht weiter seien. Bouffier etwa habe gerade mal zehn Anlagen genehmigt: „So kommen wir nicht voran.“

Bouffier will das Planungsrecht entschlacken

Die größte Transformation der Geschichte werde nur gelingen, wenn man trotz Klimaschutz Wohlstand und Arbeitsplätze erhalte, betont der hessische Ministerpräsident. „Kein Land wird uns folgen, wenn wir unseren Wohlstand nicht halten können“, so der Christdemokrat. Die Vorstellung von Annalena Baerbock, Verbote zögen Innovationen nach sich, bezeichnete Bouffier schlicht als Unsinn: „Die größte Innovation ist dann, wie man am Verbot vorbei kommt.“ Er kritisierte, dass es in Deutschland aufgrund der komplizierten Planungsverfahren zehn Jahre daure, um einen Kilometer der – dringend benötigten – Stromleitungen zu bauen. „Haben wir endlich den Mut, das Planungs- und Verfahrensrecht zu entschlacken“, forderte er. Warum die CDU in den vergangenen 16 Jahren diesen Mut nicht hatte, das beantworte der Christdemokrat indes nicht.

Gammelin: Die Wahlprogramme passen nicht zur Realität

Der SZ-Redakteurin Cerstin Gammelin gingen alle Parteien nicht weit genug. „Die Wahlprogramme passen nicht mit der Realität zusammen“, kritisierte sie. Klimaschutz werde als reine Rechenaufgabe verstanden, die Fragen des gesellschaftlichen Konsens würden völlig außer acht gelassen. Der Punkt sei doch: „Was sind die Menschen bereit mitzugehen?“ Es müssten viel striktere Ziele formuliert und ehrlich gesagt werden: „Das kostet Geld, und es kostet Veränderung im Lebensstil.“