Die Türkei soll laut Recep Tayyip Erdogan zum Knotenpunkt für russische Gaslieferungen nach Europa werden Foto: AFP/Adem Altan

Der türkische Staatschef plant neue Energiedeals mit Kremlchef Wladimir Putin und unterläuft dabei die Russland-Sanktionen des Westens. Er riskiert damit Spannungen mit den USA

Die Schiffe haben klangvolle Namen: Flying Fox, Eclipse, Galactica Super Nova. Die Superjachten, die sanktionierten russischen Oligarchen gehören, liegen in türkischen Gewässern vor Anker. Die „New York Times“ zählte 32 russische Jachten, die in den vergangenen Monaten in der Türkei Zuflucht suchten. Dort sind die Schiffe sicher vor Beschlagnahme. Denn die Türkei setzt als einziges Nato-Land keine der vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen um. Davon profitieren nicht nur Milliardäre wie Roman Abramowitsch, der in diesem Sommer gleich vier Megajachten in türkischen Gewässern parkte. Die Türkei ist für die russische Wirtschaft so etwas wie eine Tür zur Welt. Während die westlichen Länder die Flugverbindungen mit Russland gekappt haben, ist die Türkei zur Drehscheibe für den internationalen Luftverkehr mit Russland geworden. Im Sommer gab es an manchen Tagen bis zu 200 Flüge zwischen beiden Ländern.

Türkei als Umschlagplatz für Waren

Immer mehr russische Unternehmen eröffnen Dependancen in der Türkei, um die Sanktionen zu umgehen. In den ersten acht Monaten wurden in der Türkei 729 neue Firmen mit russischer Kapitalbeteiligung registriert. Auch westliche Unternehmen nutzen die Türkei als Umschlagplatz für Waren, die sie wegen der Sanktionen nicht direkt nach Russland liefern dürfen. Dadurch stiegen die Exporte aus der Türkei nach Russland in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 43 Prozent.

Während europäische Staaten versuchen, sich aus der Abhängigkeit vom Gaslieferanten Gazprom zu befreien, fädelt der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan jetzt neue Energiedeals mit Kremlchef Wladimir Putin ein: Die Türkei solle zum Knotenpunkt für russische Gaslieferungen nach Europa werden, kündigte Erdogan kürzlich nach einem Treffen mit Putin in Kasachstan an. Bei dem Gespräch ging es auch um den Bau eines zweiten russischen Kernkraftwerks in der Türkei. Der Staatskonzern Rosatom baut bereits an der Mittelmeerküste einen Atommeiler, dessen erster Reaktor nächstes Jahr ans Netz gehen soll. Das zweite Kraftwerk soll bei Sinop an der Schwarzmeerküste hochgezogen werden. Rosatom finanziert und baut die Reaktoren nicht nur, sondern wird sie auch betreiben. Im Endausbau sollen die beiden Kraftwerke 20 Prozent des türkischen Strombedarfs decken. Bereits jetzt ist Russland der größte Gas- und Öllieferant des Landes.

Washington droht der Türkei

In den USA wächst die Besorgnis über die immer engeren Wirtschaftsbeziehungen des Nato-Partners Türkei mit Russland. Bereits im Sommer drohte Washington der Türkei wegen der Verflechtungen mit dem russischen Finanzsystem mit Sanktionen. Fünf türkische Banken stiegen daraufhin eilends aus dem russischen Zahlungssystem Mir aus. Jetzt mahnte das State Department die Türkei, ihre Energieversorgung zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Doch Erdogan geht den entgegengesetzten Weg – und riskiert damit, selbst zum Ziel amerikanischer Sanktionen zu werden.

Dass die USA auch gegenüber einem Nato-Verbündeten nicht mit Strafmaßnahmen zögern, zeigt ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Nachdem Erdogan 2017 in Moskau russische Luftabwehrraketen des Typs S-400 bestellte, stornierte US-Präsident Donald Trump Ende 2020 die Lieferung von 100 fest bestellten und bereit angezahlten F-35-Kampfflugzeugen an die Türkei, schloss die türkische Industrie von ihren Beteiligungen am F-35-Programm aus und belegte die staatliche türkische Rüstungsbehörde SSB mit Sanktionen. Führende SSB-Manager dürfen nicht mehr in die USA reisen, ihr dortiges Vermögen wurde eingefroren.

Dass Washington bisher keine neuen Sanktionen gegen Ankara verhängte, hat Erdogan vor allem seiner Rolle als selbst ernannter Vermittler zu verdanken. Das in Istanbul ausgehandelte Abkommen über die Getreideexporte aus der Ukraine war ein Erfolg der türkischen Diplomatie. Erdogans Bemühungen, Kremlchef Wladimir Putin und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an einen Tisch zu bringen, hatten bisher allerdings keinen Erfolg.