Tim Berresheim in der Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff in Stuttgart Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Tim Berresheim gehört zu den spannendsten Gegenwartskünstlern. Er schafft seine Bildwelten mit digitalen Mitteln. Und sagt doch: „Künstliche Intelligenz interessiert mich nicht.“

Dieser Mann macht Eindruck. Darf man das noch sagen? Tim Berresheim lacht. Es ist ein offenes Lachen. Ein Kerl muss eine Meinung haben, heißt es in Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Ein Kerl ist dieser Tim Berresheim wohl, eine Haltung, sprich, eine Meinung, hat er auch. „Künstliche Intelligenz interessiert mich nicht“, sagt er. „Nicht für meine Arbeit jedenfalls.“ Wie das? Bewegen wir uns vor und in seinen Bildräumen etwa nicht in rein digitalen Gefilden? „Stimmt“, sagt Berresheim, „aber ich steuere jeden Millimeter.“

Mehr Berresheim für das Kunstmuseum Stuttgart

Das fasziniert auch das Luxemburger Sammlerpaar Stefanie und Patrick Majerus. 2018 begeistern sie sich für Berresheims Arbeiten in der Kunstmuseum-Ausstellung „Mixed Realities“ und geben 2022 acht Werke als Schenkung nach Stuttgart. Heute über solche Großzügigkeit „noch immer begeistert“, sagte Kunstmuseum-Direktorin Ulrike Groos seinerzeit: „Dass Stefanie und Patrick Majerus diese faszinierenden Arbeiten dem Kunstmuseum Stuttgart überlassen, ist eine große Anerkennung für unsere Arbeit.“ Und die Berresheim-Freude im Kunstmuseum geht weiter: Die Sammlung Oehmen im Rheinland half jüngst „den Berresheim-Bestand in unserer Sammlung auf großartige Weise wachsen zu lassen“, so Ulrike Groos.

Kunstmuseumsdirektorin Ulrike Groos freut sich über wachsenden Berresheim-Bestand Foto: gu

Fäden in der Hand behalten, auch wenn sie scheinbar ihr Eigenleben führen – der Aachener Tim Berresheim ist ein Virtuose darin. In Heinsberg ist er geboren, 1975. Studiert hat er bei Johannes Brus in Braunschweig und bei Albert Oehlen in Düsseldorf. Wichtiger als die Namen ist das mit ihnen verbundene Verständnis von Kunst. Tief gehen. Abgründe wagen. Und doch: Die Kunst als Kunst feiern und ja – dem Bildnerischen vertrauen.

Faible für überbordende Kunst

„Die Kunst, die ich mag“, sagt Tim Berresheim, „ist meist sehr überbordend“ – und verweist unter anderem auf das Werk des US-Amerikaners Mike Kelley, aber auch auf „die Kunst des Barock“. Und jetzt, wenn Berresheim nicht erläuternd, sondern voller Neugierde auf die ersten Reaktionen in seiner jüngst eröffneten Ausstellung „Der Cicerone und der Phönix“ in der Stuttgarter Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff (Paulinenstraße 47) steht, hört man ihn förmlich diesen Satz erneut sagen: „Ich mag die Idee, dass man aus allen Rohren gleichzeitig schießen kann.“

Vor allem dann, möchte man entgegnen, wenn man weiß, wie sich die Kugeln pulverisieren lassen, aus Geschossen Farbnebel werden, aus den Gefahr bringenden Bahnen abenteuerlichste Wege durch immer neue Raumebenen. Deren Sogwirkung verdankt sich einem einfachen Prinzip: Nichts in Berresheims mit unfassbar großen Rechenleistungen erarbeiteten Bildern ist geschichtet, nichts ist addiert. „Die Collage“, sagt er, „ist nicht mein Thema.“ Ablesbar ist stattdessen das Ideal des einen Raums, aus dem sich alles entwickelt, in dem sich alles abspielt.

Ein Fremdenführer tritt auf

Kommt hier der Cicerone aus dem Ausstellungstitel ins Spiel, der kulturhistorische Fremdenführer? Der Kunstwissenschaftler Hans Dieter Huber, bis 2019 Professor an der Stuttgarter Kunstakademie, weist auf anderes hin: „Die große Mehrzahl der Bilder“, so Huber, „besitzt Referenzen zu älteren Werken des Künstlers. Sobald man sie kennt, kann man sie auch sehen. Dafür benötigt man aber den Cicerone, den Fremdenführer im Bild und vor dem Bild.“

Tim Berresheim in der Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Warum aber nicht dem Phönix vertrauen, dem magischen Vogel, Sinnbild nicht zuletzt radikaler Verwandlungen? Oder mit den Worten des Galeristen Reinhard Hauff: „Ich mag an diesen Arbeiten, dass es einfach verdammt gute Bilder sind, in denen ich immer Neues entdecken kann.“ Etwa, wie eine Lichtquelle aus sich selbst heraus einen Bildraum erleuchten und nach allen Seiten ausleuchten kann. Beispielhaft führt „Das Gastspiel“ Tim Berresheims Spiel mit Zeit-, Erinnerungs- und Raumebenen vor – Kunstgeschichte seit der Zeit, da der 1649 mit nur 25 Jahren gestorbene Genueser Giovanni Battista Bracelli dem Geheimnis Mensch durch eine ganz eigene Mechanisierung der Gelenke auf die Spur zu kommen suchte.

Die Türe zum Geheimnis bleibt offen

Es ist Bracellis Menschengerüst, das nun als Cicerone durch Berresheims Bildräume wandert, flieht und doch auch vagabundiert. Denn bei aller Präzision, bei aller bewussten Unzufälligkeit hält Tim Berresheim doch auf eigene Weise dem Geheimnis die Türe weit offen. Spielt Berresheim auch darauf an, wenn er sagt, die Beschäftigung mit seinen neuen Arbeiten habe ihn für sich das Bild von einer Steinzeithöhle entwickeln lassen? Und zielt er zudem darauf, dass im klugen Ausstellungspanorama älterer und aktueller Arbeiten deutlich wird, dass er auf die frühere Ausgliederung eines einzelnen Elements mit der immerwährenden Eingliederung des Ganzen (und in das Ganze) antwortet?

Die Ausstellung – ein Selbstporträt?

So erweist sich die tatsächlich als Ganzes zu lesende Ausstellung „Der Cicerone und der Phönix“ in der Stuttgarter Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff zuletzt als ein Selbstporträt von Tim Berresheim. Der Künstler ist zugleich Musiker und Produzent. Er weiß, welchen Ton er anschlagen muss, um das Tänzeln zu halten.

Der Cicerone und der Phönix: bis zum 17. März, Di bis Fr 13 bis 18 Uhr. Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff, Paulinenstraße 47

Berresheim bei Hauff

Ort
Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff, Stuttgart, Paulinenstraße 47

Zeit
Bis zum 17. März, Di bis Fr 13 bis 18 Uhr.