Für die U23 des FC St. Pauli lief Theodor Bräuning in der Regionalliga als Kapitän auf. Seine Karriere war von schlimmen Verletzungen geprägt. Foto: imago images/KBS-Picture Kalle Meincke

Theodor Bräuning klopft an die Tür des Profifußballs. Beim FC St. Pauli darf er bei den Profis mittrainieren. Doch dann zerstören schwere Verletzungen die noch junge Karriere. [Plus-Archiv]

Es war ein nasskalter Herbstabend im November 2017, der Theodor Bräunings Welt erstmals so richtig ins Wanken bringen sollte. Im Edmund-Plambeck-Stadion in Norderstedt, der Heimstätte der U23 des FC St. Pauli, lief in der Regionalliga-Partie zwischen dem Kiez-Klub und der Nachwuchsmannschaft von Eintracht Braunschweig gerade die 24. Minute, als es im Knie des damals 21-Jährige nach einem Zweikampf plötzlich laut knallte und er schreiend am Boden lag. Es war der Beginn einer langen Leidensgeschichte, und was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, das Ende seines großen Traums, als Fußballer im Profibereich ganz oben anzukommen. „Ich habe mir in der Situation das Knie verdreht. Dabei habe ich es mit meinem ganzen Körpergewicht belastet und der Gegenspieler ist noch drauf gefallen“, erzählt der Stuttgarter fünf Jahre später.

Erste Station bei den Stuttgarter Kickers

Am Boden liegend ging er damals bereits vom Schlimmsten aus: „Es waren die schrecklichsten Schmerzen meines Lebens. Ich konnte mein Knie nicht mehr bewegen.“ Er sollte mit dieser Befürchtung Recht behalten. Die Diagnose – ein Schock: Korbhenkelriss im Innenmeniskus. Für einen Fußballer kann es kaum schlimmer kommen.

Theodor Bräuning wuchs in Stuttgart-Ost auf, schon früh begann er das Fußballspielen. Über ein Fußballcamp bei der mittlerweile berühmten Fußball-Familie Schlotterbeck landete der damals Fünfjährige bei den Stuttgarter Kickers. Insgesamt zehn Jahre hatte er das Training auf der Waldau besucht – spielte unter anderem mit Hertha-Spieler Davie Selke und dem Neu-Hoffenheimer Grischa Prömel zusammen – , ehe der VfB Stuttgart auf den talentierten Nachwuchskicker aufmerksam wurde und ihn für seine B-Jugend-Mannschaft verpflichtete.

Im Team mit Thilo Kehrer und Timo Baumgartl

An eine Profikarriere dachte Bräuning da noch nicht. „Ich wollte einfach kicken und Spaß haben“, erzählt er. „Das war dann beim VfB aber nicht mehr so einfach. Hier war ich einer von vielen und musste mich irgendwie durchsetzen“, so Bräuning weiter, der während seiner Jugendzeit auch in der Württemberg-Auswahl mit Timo Werner zusammenspielte. Erfolg hatte er mit dem VfB dennoch. Zusammen mit Thilo Kehrer, der unter anderem bei Paris Saint-Germain sein Geld verdiente, und dem Schalker Timo Baumgartl gewann er mit der U17 des VfB im Jahr 2013 die Deutsche Meisterschaft.

Auch wegen einer Steißbein-Verletzung fehlte Bräuning in der Meister-Saison allerdings oft auf dem Spielbogen der Weiß-Roten. Während sich die Tür in Bad Cannstatt schloss, öffnete sich eine neue. Diese sollte eine große Veränderung ins Leben des damals 16-Jährigen bringen. Der 1. FC Kaiserslautern klopfte an und lockte den jungen Mann in die Pfalz, wo er von da an das Fußballinternat des Traditionsclubs besuchte. „Für meine Eltern war es natürlich hart, dass ich von Zuhause auszog, aber ich wollte den Schritt unbedingt gehen“, sagt Bräuning, dessen Einstellung zum Thema Fußball sich mit dem Wechsel zum FCK schlagartig änderte: „Plötzlich war ich in einer anderen Stadt, einem anderen Zuhause. Jetzt wollte ich es doch wissen – ich wollte Fußballprofi werden“.

Wechsel in die Oberliga zum FC Nöttingen

Doch so richtig kam die Karriere auch bei Lautern nicht in Fahrt. Obwohl er unter Trainer Kosta Runjaic ab und an bei den Profis mittrainieren durfte, war seine Zeit im A-Jugend-Team nicht von Erfolg gekrönt. In der zweiten Saison stieg Bräuning mit dem Nachwuchs des FCK sogar aus der Bundesliga ab. „Ich bin zu der Zeit in meiner Entwicklung stehen geblieben“, so der 26-Jährige.

Was dann folgte, kennen viele Nachwuchsspieler nur zu gut. Der Übergang zum Herrenbereich ist hart – Probetraining hier, schlechte Angebote dort. Eine Rückkehr zu den Kickers scheiterte laut Bräuning nur knapp. Der damalige Trainer Horst Steffen sei mit dem Mittelfeldspieler zufrieden gewesen. Am Ende hätten wohl jedoch körperliche Aspekte gegen eine Verpflichtung gesprochen. Schließlich landete Bräuning dann beim Oberligisten FC Nöttingen – ein Glücksfall wie sich später herausstellen sollte. Beim Verein in der Nähe von Pforzheim blühte er auf und legte besonders im physischen Bereich enorm zu.

Aufstieg in die Regionalliga-Südwest

Im ersten Jahr gelang Bräuning mit dem FCN und dem heutigen Kickers-Spieler Niklas Kolbe der Aufstieg in die Regionalliga-Südwest. Zwar verpasste der Dorfverein in der darauffolgenden Saison den Ligaverbleib, seine Klasse konnte Bräunig dennoch unter Beweis stellen – einige Angebote flatterten für den defensiven Mittelfeldspieler ins Haus. Astoria Walldorf soll ihm nicht nur viel Geld, sondern auch einen Job bei Sponsor SAP angeboten haben. Seine Entscheidung fiel jedoch anders aus. Er heuerte im hohen Norden bei der U23-Mannschaft des FC St. Pauli an. „Die Chance musste ich einfach nutzen. Ich hatte die Hoffnung, irgendwann mal am Millerntor aufzulaufen“, erzählte er. Und Bräuning startete so richtig durch. Ohne Anlaufschwierigkeiten spielte er sich schnell in die erste Elf. Trainer Joachim Philipkowski setzte auf ihn – und dieses Vertrauen zahlte der Neuzugang mit starken Leistungen zurück. Es dauerte auch nicht lange, da erhielt Bräuning die Chance, auf die er so hingefiebert hatte.

Training mit den Profis vom FC St. Pauli

„Morgen, 10.45 Uhr. Treffen – Training bei den Profis.“ Diese Nachricht erhielt Bräuning per Whatsapp von Philipkowski nur wenige Wochen vor seiner ersten schweren Knieverletzung. „Ich konnte mehrmals mit dem Zweitligateam mittrainieren und habe von Anfang an gemerkt, dass ich mithalten konnte“, erzählt Bräuning. Die Krönung: Im Winter sollte er mit ins Trainingslager der Profis fahren. Doch dazu kam es nicht.

Am 27. November erlitt das Talent den Rückschlag, von dem es sich nie mehr richtig erholen sollte. Zwei Tage später operierten Ärzte in der Hamburger Endo-Klinik ganz in der Nähe der berühmten Reeperbahn das schwer verletzte Knie des Fußballers. Die Verletzungen waren jedoch so kompliziert, dass nur zwei später Tage später erneut ein operativer Eingriff stattfinden musste. Anschließend kämpfte sich Bräuning monatelang durch die Reha – ohne Erfolg. Auch Monate nach der Operation sei das Knie bei Belastung immer wieder heiß und dick geworden, berichtet Bräuning – an Fußballspielen war nicht zu denken. „Ich habe zig Ärzte aufgesucht, jeder hatte eine andere Idee. Am Ende landete ich im Sommer ein weiteres Mal unter dem Messer. Die Ärzte entfernten mir Narben, die auf den Meniskus gedrückten hatten.“

Verein verlängert Vertrag mit Bräuning

Obwohl Bräuning im Jahr 2018 kein einziges Spiel für den FC St. Pauli bestreiten konnte, hielt der Verein zu ihm – verlängerte seinen Vertrag und machte ihn sogar zum Kapitän. Trainer Joachim Philipkowski schätzte ihn so sehr, dass er auch heute noch von seinem ehemaligen Schützling schwärmt. „Theo ist ein toller Mensch, der bei uns auch Kapitän war, weil er große Qualitäten darin hatte, eine Mannschaft zu führen und zu pushen. Dass er sich so schwer verletzt hat, ist sehr schade, denn ich habe bei ihm auch eine Qualität gesehen, die es ihm ermöglicht hätte, höher als in der Regionalliga zu spielen. Er war fußballerisch sehr gut, lauf- und schussstark. Er hat sich immer voll reingehängt und sein Teamgeist, die Fähigkeit auf und neben dem Platz für seine Mitspieler da zu sein, war schon außergewöhnlich. Das habe ich so selten erlebt.“

Comeback gegen den VfB Lübeck

Schließlich ging es für den Stuttgarter sogar wieder halbwegs bergauf. Sein Gesundheitszustand verbesserte sich, wenngleich an Normalität weiterhin nicht zu denken war. Vor jedem Training musste sich Bräuning aufgrund seiner Knieverletzung eine Stunde zusätzlich aufwärmen. Der harte Kampf zahlte sich dennoch aus. Am 2. März 2019 feierte Bräuning gegen den VfB Lübeck in der Regionalliga Nord sein Comeback. „Es war unglaublich, ich wollte nie aufgeben und konnte es kaum glauben, wieder auf dem Platz zu stehen“, erinnert er sich.

Und die restliche Saison lief gut für den Abräumer. In zehn Spielen bereitete er drei Tore vor, spielte sich erneut in den Fokus der Profis und durfte unter Trainer Jos Luhukay auch bei diesen mittrainieren. Ganz schmerzfrei war er jedoch noch lange nicht. „Ich konnte nach den Spielen teilweise nicht einmal die Treppen zu meiner Wohnung hoch. Ich musste ab und zu den Aufzug nehmen“, gibt er zu. Das sei alles andere als gesund gewesen. Seinen Traum vom Fußballprofi wollte er deswegen dennoch nicht aufgeben. „Das war alles andere als rational von mir. Ich wollte unbedingt wieder Fußball spielen, wollte erfolgreich sein und habe trotz dieser Schmerzen weitergemacht – heute hätte ich wohl anders entschieden“, erzählt er.

Weitere schwere Verletzung im Training

Nach der Sommerpause folgte dann das nächste schwarze Kapitel im Leben des leidgeprüften Fußballers. Gleich im ersten Training verletzte sich Bräuning erneut schwer am Knie. Neben einem Meniskusriss erlitt er dieses Mal zudem einen Knorpelschaden. Wieder war eine Operation unumgänglich und wieder wollte Bräuning nicht aufgeben. „Ich war am Boden. Ohne meine Familie, meine Freunde aus Stuttgart und meine Teamkameraden hätte ich das nur schwer durchgestanden, aber ich wollte es noch einmal versuchen“, erzählt er. Doch dieses Mal blieb es beim Versuch.

Er suchte Spezialisten in Hannover, Berlin, Hamburg, ja sogar in Enschede in den Niederlanden auf – helfen konnte ihm jedoch keiner. Der Tag war gekommen, als die medizinische Abteilung des FC St. Pauli schließlich entschied, das Kapitel zu beenden. „Als Philipkowski auf mich zukam und mir sagte, dass der Verein leider nicht mehr mit mir plant, war ich nicht mehr geschockt. Ich habe damit gerechnet. Die Rückschläge zuvor waren schlimmer“, so Bräuning, der anschließend wieder zurück nach Stuttgart zog, wo er sich in die Behandlung des Mannschaftsarztes der Stuttgarter Kickers, Dr. Christian Mauch, begab.

Bräuning will dem Fußballgeschäft treu bleiben

Ein Glück – denn über ihn lernte er auch Theo Rieg kennen, einen ehemaligen Spieler der Stuttgarter Kickers, der ebenfalls sehr früh seine Karriere beenden musste. „Ich habe viel mit ihm über das Leben und über den Fußball gesprochen, das hat mir sehr geholfen. Und eines Tages habe ich dann für mich den Entschluss gefasst, es geht nicht mehr – ich höre auf“, erzählt Bräuning, der zeitweise kein Fußballspiel mehr sehen wollte.

Diese Zeiten gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Auch wenn er keinen laufintensiven Sport mehr betreiben kann, schaut Bräuning heute nach vorn. Erst vor Kurzem beendete er sein Sportbetriebswirtschaftstudium erfolgreich mit der Note 1,7. In Zukunft will er im Fußballgeschäft wieder angreifen – neben dem Platz versteht sich. Bis es so weit ist, hat Theodor Bräuning aber noch etwas vor, dass während seiner Fußballzeit voll auf der Strecke blieb. Für eine Weile will er einfach mal raus. Raus in die Welt, ein wenig Reisen – und weg vom Fußball. 

Dieser Text erschien erstmals am 02.08.2022