Waffe im Holster: Kronzeuge Paul-Ludwig U. bei einem von der Polizei observierten Treffen. Einer der Angeklagten klagt jetzt, dass alle Fotos, Videos und Tonaufnahmen dem Gericht übergeben werden, Baden-Württembergs Innenministerium sperrt sich dagegen. Foto: StN/StN

Das Landespolizeipräsidium Baden-Württembergs hält bei den Ermittlungen gegen die Gruppe S. Fotos und Videos für das Gerichtsverfahren zurück. Zur selben Zeit wird unvermittelt bekannt, dass im Umfeld der Gruppe mindestens ein Spitzel eingesetzt gewesen sein soll.

Im Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der als rechtsterroristisch eingestuften Gruppe S. am Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) wurde im Mai für viele überraschend bekannt, dass im unmittelbaren Umfeld der Gruppe ein mutmaßlicher V-Mann eines Verfassungsschutzamtes agierte. Zur selben Zeit berichtete der Vorsitzende des 5. Strafsenats, dass das baden-württembergische Innenministerium Fotos und Videos für den Prozess sperrte, die Polizisten bei ihren Ermittlungen zu der Gruppe machten. Gegen diese Sperrerklärung klagt jetzt einer der Angeklagten vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart.

Worum geht es?

Am 5. Mai teilte der Strafsenat des OLG den Prozessbeteiligten mit, das Innenministerium sperre die von Ermittlern angefertigten Video- und Bildaufnahmen, die deshalb nicht als Beweismittel in das Verfahren eingebracht werden könnten. Nur drei Wochen später fand einer der Richter bei einer Terminabsprache mit einem Kriminalbeamten zufällig heraus, dass die Ermittler davon ausgehen, dass der im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt lebende Thorsten K. als Vertrauensmann für einen deutschen Inlandsgeheimdienst arbeitete. Die Information ist höchst brisant, weil der V-Mann eigentlich an dem von der Polizei zumindest gefilmten, mutmaßlichen Gründungstreffen der Gruppe um den Namensgeben Werner S. am 8. Februar 2020 in Minden teilnehmen sollte. Dann aber kurzfristig seine Teilnahme absagte. Das nährt den Verdacht, der mögliche Spitzel könnte von seinem sogenannten V-Mann-Führer vor einer Reise ins westfälische Minden gewarnt worden sein.

Warum wird vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geklagt?

Der Angeklagte Marcel W. klagt über seinen Verteidiger André Picker jetzt, dass das Innenministerium alle im Verlauf der Ermittlungen zwischen dem Sommer 2019 und der Festnahme der Angeklagten am 14. Februar 2020 entstanden Fotos, Videos, Audios dem Gericht übergibt. Sein Mandant, sagt Picker, „hat das grundsätzliche Recht, Kenntnis auch von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlungen entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden“. So war beispielsweise auch im September 2019 ein Treffen Einzelner der Gruppe an der Hummelgautsche bei Schwäbisch Gmünd von einem Mobilen Einsatzkommando oberserviert und fotografiert worden. Auf den in der Akte befindlichen Fotos ist einzig der dem Generalbundesanwalt als Kronzeuge dienende Paul-Ludwig U. mit einer Waffe in einem Schulterholster zu sehen. Dieser gibt in seinen Vernehmungen an, auch andere seien bewaffnet zu dem Treffen erschienen. Das lässt sich mit dem vorliegenden Observationsbericht jedoch nicht belegen. Ähnliches gilt für die Observation des Mindener Treffens, dass offenbar live in ein Lagezentrum des Landeskriminalamtes nach Stuttgart übertragen wurde.

Wie argumentiert das Innenministerium?

Das unter dem Dach des Ministeriums agierende Landespolizeipräsidium ist der Auffassung, würden die Fotos, Videos und Audios in den Prozess eingebracht, könnte die Polizei künftig nur schwerer ermitteln. Das Argument, sagt Picker, sei nicht plausibel, weil zum einen bekannt sei, dass die Angeklagten umfangreichen Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt waren. Zum anderen wurden diese Maßnahmen weitestgehend bereits in öffentlicher Hauptverhandlung diskutiert. Wo sich jetzt im Einzelnen Kameras und Polizisten im konkreten Fall befanden, gefährde künftige Ermittlungen der Polizei nicht.

Welche Konsequenzen kann das Verhalten des Ministeriums haben?

Haben die Richter Zweifel an der Schuld der Angeklagten, können sie diese freisprechen. Zweifel werden dadurch begründet, indem Ermittlungsergebnisse zurückgehalten werden. Dies ist im aktuellen Fall so, weil das Innenministerium Fotos, Videos und möglicherweise Audioaufnahmen zurückhält. Der Eindruck, etwas verbergen zu wollen, wird dadurch verstärkt, dass unvermittelt ein mutmaßlicher V-Mann im Umfeld der Gruppe auftaucht.